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Lebensbeweise lebendiger Gemeinden

EA 29/03

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Author Eberhard Arnold
Date January 01, 1929
Document Id 20126003_01_S
Available Transcriptions German

Lebensbeweise lebendiger Gemeinden

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - P.M.S.]

EA 29/3

Eberhard Arnold:

Lebensbeweise lebendiger Gemeinden

Aus der Lehre des Bruderhofes.

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Dem geliebten Wortführer des Rhönbruderhofes und des Almbruderhofes Eberhard Arnold zum Gebrauch in der Gemeinde als ein Zeichen völliger Verbundenheit zu seinem Geburtstage am 26. Juli 1934 als Anfang des zweiten Buches von "Eberhard Arnold, Gesammelte Reden und Schriften" dargebracht von der Hausdruckerei des Eberhard Arnold-Verlages.

Als Manuskript in einer Auflage von 120 Exempl. gedruckt.

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1. Die Liebe zu Christus.

Gemeinde ist die Einheit und Einstimmigkeit im heiligen Geist. Sie ist da, wenn dieser Geist den Willen Gottes offenbart. Sie ist dort, wo er Christus so nahe bringt, daß sein Wort erfüllt wird. So offenbart sich die Gemeinde in dem Zusammenschluß derer, zu denen Christus kommt. Die Gemeinde ist ein Geschenk seines Geistes. Der Glaube an den heiligen Geist bewirkt als Glaube an die Eine, einzige Gemeinde oder Kirche die Wirklichkeit des Gemeinde-Lebens. Gemeinschaft kann nur dort entstehen, wo Christus Jesus ganz persönlich durch seinen Geist das Innerste der Menschen anrührt und erfüllt. In wirklicher Gemeinschaft kann man nur dort bleiben, wo von diesem Innersten aus das Leben Jesu von neuem gelebt wird. Wie Jesus das menschgewordene und fleischgewordene Offenbarungswort des Vaters war, so ist seine Gemeinde die neue Verleiblichung des Christus in dieser Welt. Sie ist der Organismus seiner Einheit. Sie lebt als sein Leib ebenso, wie er gelebt hat und wie er sein Reich als die Herrschaft Gottes vollenden wird.

Der Geist sagt, daß es Gemeinden gibt, die den Namen haben, daß sie leben - und sie sind tot. Der Herr selbst lebt inmitten der sieben Gemeinden. Er selbst stellt es an den Taten fest, ob eine Gemeinde nur dem Namen nach lebt, - während sie in Wahrheit tot ist. Der Tatbestand entscheidet es, ob die Werke einer Gemeinde vor Gott nicht vollkommen sind. Nach ihren Taten, ja nach ihren Worten werden die Menschen

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gerichtet. Mit Augen, die wie flammendes Feuer sind, durchschaut der Gebieter die Werke der Menschen. Er sieht bis auf den Grund, und weiß , das der Mund sagt und die Hand tut, was im Herzen ist. Im Herzen liegt die Ursache, wenn es an den Taten des Lebens mangelt, oder wenn böse und unnütze Worte die Einheit zerstören wollen.

Wenn das Herz lebendig ist, bewahrt es, was es von Gott empfangen und gehört hat. Daran erinnert uns Jesus durch seinen Geist. Wenn die Taten einer Gemeinde einen Rückgang, wenn ihre Worte einen Mangel an innerem Leben herausstellen, so ist der innerste Lebensnerv erkrankt. Kein Baum bringt gesunde Frucht, wenn die Wurzel krank ist. Der Lebensnerv und die Wurzel des Gemeindelebens ist das Zeugnis, in dem Gott selbst Jesus bezeugt. Die Apostel haben ihn als Augenzeugen und Ohrenzeugen verkündet. Nur wo die apostolische Botschaft angenommen wird, erlebt die Gemeinde ihre Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Geist. Wie der Sohn das fleischgewordene Wort geworden ist, so können wir nur dann in ihm und in dem Vater bleiben, nur dann leben, wie er gelebt hat, wenn das so verkündete Wort in der Kraft des Geistes in unserer Mitte wirksam ist und in unseren Herzen bleibt. Wenn wir das Wort aufnehmen, dringt Christus in uns ein. Wenn wir das Wort in uns bewahren, so ist es die Kraft des Geistes, die das Bleiben in Christus bewirkt. Im Glauben an Christus trägt das Wort den Geist, der allein diese Kraft verleihen kann. Dieser Geist kommt von Gott zu uns. Er bricht von dem Thron des erhöhten Christus her bei uns ein. Er bringt uns das Wort. Er macht es in uns lebendig. So werden wir von Gott selbst besucht und beschenkt. Sein Geist verbürgt es als der Geist der Kindschaft, daß der Vater uns liebt und

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begnadigt. Wo dieser sein Geist nicht wirkt, können wir das Evangelium von Jesus Christus nicht aufnehmen. Wir können ohne den heiligen Geist Jesus nicht in Wahrheit Herr, Herrscher und Gebieter nennen. Wir würden lügen, wenn wir das Wort "Herr" in den Mund nähmen, ohne seinen Willen zu tun. Es gibt keinen Gehorsam des Glaubens, kein wahres Leben ohne den Geist. Er ist allein der Geist des Lebens. Seine geordnete und lebendige Wirkung vermag uns allein von dem Todesgesetz der Sünde freizumachen.

Der Geist ist es, der die Erinnerung an die Wahrheit und ihr Leben immer von neuem belebt. Ohne die durch ihn stets neu belebte Botschaft bleiben wir im Tode und in der Sünde. Die Botschaft der Wahrheit ist die Nachricht von Gott, wer er ist und was er will. Sie ist die Nachricht von dem Wort Gottes, das in Christus Jesus Mensch geworden ist. Sie ist die Erinnerung an die Worte Jesu und an das Wort der Apostel und Propheten. Sie ist die Nachricht von der Gemeinde und ihrem Leben. Sie ist die Nachricht von Christus!

Durch die Apostel und die Verkündigung ihres Wortes empfangen wir diese allein rettende und bewahrende Botschaft. Wir müssen versinken, wenn wir uns nicht an dieses Wort halten. Wir müssen stürzen, wenn wir nicht zu dieser Botschaft stehen. Sie gipfelt in der Erlösungstat Jesu: Der Mensch gewordene Christus ist für unsere Sünden gestorben, wie es in den Schriften des alten Bundes gesagt war; und er ist begraben und auferweckt worden, wie es in diesen Schriften gesagt war. Diese Tatsache allein macht eine Gemeinde lebendig. Nur sie erhält am Leben. Daß uns Gott so geliebt hat, daß Christus uns durch seinen Tod die Sünde wegnahm, ist allein der Quell der Liebe. Nur darin quillt die Kraft, in der wir ihn lieb gewonnen haben und lieb behalten. Wenn Gott

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die Welt nicht so geliebt hätte, daß er seinen Sohn geopfert hat, so könnten wir nicht in der Liebe sein. Wenn wir an dieser großen Liebe Gottes vorbeigehen wollten, ja, wenn wir diese Liebe Gottes nicht in uns hätten, so könnten wir das Wort Jesu von dem größten Gebot, mit dem der ganze Wille Gottes zu uns kommt, niemals halten. Fern von dem Gott der Liebe und des Friedens können wir Gott niemals und nirgends von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen Kräften lieben. Niemand und nichts aber kann uns von der Liebe Gottes scheiden, wenn Gott in uns und unter uns ist, wenn unsere Herzen auf diese Liebe gerichtet sind, wie sie in Christus unter uns erschienen ist. Christus ist in seiner Gemeinde.

Wie der Vater Christus liebt, so will Christus uns lieben. Und der Vater hat uns darum lieb, weil wir Christus lieb haben. Die Liebe Christi hat uns ganz und gar gefangen genommen. Die Liebe Christi ist es, die uns im Dienste Gottes drängt und treibt. Die große Liebe, mit der er uns geliebt hat, wurde darin am stärksten offenbar, daß er uns von den Sünden reingewaschen hat. Die Vergebung der Sünden und die Kraft der Liebe sind als Quelle des neuen Lebens eins. Welchem wenig vergeben ist, der liebt wenig. Wenn wir unsere Sünden, Verfehlungen und Versäumnisse nicht mehr zu Christus bringen, so vergessen wir die Reinigung auch unserer früheren Sünden. So geraten wir in den langsam tötenden Prozeß innerer Abtrünnigkeit. Wenn wir nicht mehr eine glühende und lodernde Liebe zu Jesus empfinden, so liegt hier die Ursache. Es ist in unserem täglichen Leben das Dringendste, daß wir jede Sünde abtun und hinlegen. Die Sünde ist es, die die Liebe zerstört.

Das Kreuz ist es, wo die Sünde hingehört. Dort müssen wir

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auf ihn schauen, der der Anfänger und Vollender des Glaubens, der Feuer-Anzünder der Liebe ist. Auch die gläubigen Glieder der Gemeinde müssen als das einzige immer neue Heil das Kreuz umfassen, an dem sie ihre Sünden, Verfehlungen und Versäumnisse niederlegen und abtun. Am Kreuz erkennen wir, daß er uns zuerst geliebt hat. Vom Kreuz her strömt uns die Kraft zu, ihn je länger je mehr zu lieben. Das Kreuz zieht uns in die Todesbereitschaft. Das Kreuz richtet, erledigt und beseitigt den alten Menschen, der für sich selbst leben will. In der Gemeinschaft mit dem Kreuz haben unsere Märtyrer in glühender Jesusliebe ihr Leben für die Wahrheit hingegeben. Das Kreuz bringt auch uns in die tägliche Hingabe unseres Lebens, in das Abtöten unserer Eigenwünsche und Begehrlichkeiten, daß wir dort als Gestorbene zum neuen und anderen Leben aufgeweckt werden können. Das Kreuz ist es, was uns immer von neuem zur Hingabe des neuen Lebens erschüttert, aufrichtet und bewegt, wenn wir schwach und matt in der Liebe werden.

Die Liebe Jesu hat um uns geworben, als wir noch nicht geboren waren, als wir und unsere Vorfahren noch seine Feinde waren. Diese Liebe ist wie die Sonne, die über den Wintertod einer Landschaft das grüne Leben hervorbringt. In der Sonnenkraft der Liebe Gottes erwachen wir vom Tode zum Leben. Wie der das Dunkel erhellende Blitz, wie der die Nacht verjagende Sonnenaufgang kommt Gott in Christus zu uns. Diese Sonnenkraft allein ist es, die die Frucht der Tat, das Werk und die Arbeit hervorbringt. Der unfruchtbare Baum steht unter dem Fluch. Wehe der Gemeinde, bei welcher Jesus die Werke, Taten und Arbeiten vergebens sucht, jene Taten der Liebe und Treue, die den von ihm geweckten Leben entsprechen sollen. Er ist ja darum für alle

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gestorben, damit niemand mehr für sich selbst lebt, damit alle, die Leben haben, für ihn leben, der für sie gestorben und auferstanden ist. Das bedeutet Gelassenheit. Das ist die Überwindung des Eigen-Lebens und Eigen-Nutzens und damit auch des Eigentums. Das ist allein dort möglich, wo die Liebe Gottes dahin treibt und drängt, daß alle ganz für Christus leben.

Von einem stolzen Inder wird erzählt, daß er auf einer gefährlichen Tigerjagd durch das rechtzeitige Eingreifen eines Europäers von dem ihm unmittelbar bedrohenden Tode gerettet wurde. Von diesem Augenblick an lebte dieser Inder für nichts anderes mehr als für den täglichen Dienst, den er seinem Lebensretter erwies. Er nahm keine andere Arbeit oder Beschäftigung an als diese. Er blieb beständig im Gefolge und im Arbeitsgebiet seines Lebensretters. So muß es auch bei uns sein, wenn wir nicht mehr für uns selbst, sondern nur noch für Christus leben wollen. Es genügt nicht, wenn manche, die sich für Nachfolger Christi halten, nur die wenigen freien Stunden, die ihr bürgerlicher Beruf oder ihr Geschäft ihnen frei läßt, dem Dienste Jesu widmen wollen. Wie Jesus sein ganzes Leben völlig dem Dienste geweiht hat, und wie er seinen Dienst mit dem Opfertode besiegelt hat, so müssen auch wir alle Berufe verlassen, unsere eigenen Geschäfte und Geldverdienste aufgeben, um einzig und allein für Christus und für seine Gemeinde zu leben.

Alle sind zu der großen Tischgemeinschaft seiner Gemeinde und seines Reiches geladen. Es ist alles angerichtet. Aber wer wegen eines Ackers, wegen seiner Ochsen, wegen seiner ihm eigenen Farm- oder Bauernwirtschaft, wegen seiner Heirat oder wegen anderer eigner Angelegenheiten, Geschäfte und Arbeiten nicht kommen will, steht unter dem Zorn

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und hat kein Teil an der Gemeinschaft Gottes. Wenn wir in seiner Gemeinde unsere Kräfte dem Gemeindedienst und seiner Gemeinschaft hingeben, so ist jede Beschäftigung oder Arbeit im eigenen Interesse für immer ausgeschlossen. Die völlige Liebe zu Jesus betätigt sich in der hingebenden Gemeindearbeit und in der alles durchdringenden Gemeinschaftsfreude. Sie kann nur dadurch in uns gewirkt werden, daß wir im Glauben die völige Liebe seines hingebenden Lebens, seines Todes und seiner Auferstehungskraft in uns aufnehmen. Schon bei den ersten Eindrücken, die das wachgewordene Herz von Christus empfängt, ist es so. Wenn Christus uns überwältigt, werden wir niemals weniger von dieser seiner Liebe ergriffen als so. Wenn die völlige Liebe Jesu von seinem vollbrachten Werk aus unser Herz getroffen hat, flammt es in der Kraft der ersten Liebe auf und drängt zur völligen Hingabe des ganzen Lebens.

Deshalb ist der schwerste Vorwurf, den Jesus gegen eine Gemeinde richten kann, wenn er sagen muß: "Ich habe gegen dich, daß du die erste Liebe verlassen hast." Niemand darf sich mit Seelenruhe und scheinheiliger Ergebenheit mit einer so niederdrückenden Tatsache seiner Entwicklung abfinden. So lange wir auch nur den schwächsten Funken von Liebe zu Jesus in uns tragen, so kann es uns keinen Augenblick kalt lassen, wenn er, den wir lieben, gegen uns vorbringen muß, daß wir die erste Liebe verlassen haben! Sein Zuruf geht zu Herzen: "Gedenke, gedenke, wovon du gefallen bist."

Es gibt keine andere Umkehr zur ersten Liebe als die der Tat. Deshalb fährt Jesus fort: "Tue Buße und tue die ersten Werke." Wenn du nicht zur Tat und Arbeit der ersten Liebe, nicht zu dem in treuem Arbeitsgehorsam hingegebenen Leben der Liebe durchdringst, bist du nicht umgekehrt. Wenn deine

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Liebe zum Herrn Jesus echt ist, wenn sie glühend und persönlich ist, wenn sie mit Ernst seine Sache meint, drängt sie zur Hingebung aller deiner Körperkräfte und geistigen Energien. Nur der Dienst in der Gemeinde kann die Tat sein, die als erstes Werk der ersten Liebe gemeint ist. Im täglichen Leben, in der Arbeit seiner Gemeinde wirst du dein Äußerstes leisten, wenn dich die Liebe wirklich ergriffen hat. So wirst du Liebe um Liebe ernten, weil du wahrhaft brüderliche Gerechtigkeit ausgesät hast.

Es ist nicht so das jeder einzelne Christ ganz für sich selbst einen Einzelheiland haben könnte; sondern das ist das Geheimnis des Glaubens, daß es immer derselbe Christus ist, an den alle Glieder der Gemeinde glauben, daß dieser Christus immer derselbe Jesus ist, den alle Glieder der Gemeinde lieben. Das Einheitszeugnis der Gemeinde erweist den Gegenstand unseres Glaubens und unserer Liebe als denselben Gott, als denselben Christus und denselben Geist. Es ist Ein Leib der Einen Gemeinde, es ist Ein Geist und Eine Hoffnung, es ist Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, wie es Ein Gott und Vater ist. Und in dieser Einheit ist es die Liebe Christi, die in ihrer Breite, Länge, Tiefe und Höhe alle Erkenntnis übersteigt und übertrifft.

Derselbe Jesus, den Johannes und die andern Apostel gesehen und gehört haben, ist als derselbe Christus auferstanden und den Seinen erschienen. Als derselbe erhöhte Herr hat er seinen Geist gesandt und ist in diesem Geist und durch sein Wort in seiner Gemeinde. Er ist alle Tage bei den Seinen bis an das Ende der Welt. Es gibt keinen neuen Christus. Es ist der Christus der Schrift, von dem der Apostel bezeugt, das alles, was mit ihm und durch ihn geschieht, sich nach der Schrift ereignet hat. Deshalb ist der Gehorsam seiner Nach-

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folge, der aus der völligen Liebe des Glaubens geboren wird, überall und immer derselbe.

Es gilt heute wie damals, als Jesus mit dem reichen jungen Menschen sprach, daß wir alles verlassen, alle Dinge und alle Reichtümer loslassen, daß wir uns von allen Begierden unseres begehrlichen Willens frei machen müssen, wenn wir ihm nachfolgen wollen. Es gilt heute wie damals, daß wir nur dann ihn lieben, nur dann ihm unser Leben geben, wenn wir den Ärmsten und Geringsten dienen, wenn wir sie besuchen und bekleiden, wenn wir ihnen zu essen und zu trinken geben, wenn wir sie zur Heilung bringen und wenn wir für sie arbeiten. Jesus wird uns in seinem Gericht darnach fragen, wie unsere tägliche Jesusliebe seinen Kleinsten und Geringsten gegenüber gehandelt hat. An dieser Lebenshaltung wird er unsere Liebe ermessen, wie er es gesagt hat: "Wer mich liebt, hält meine Gebote. Er ist meinen Worten gehorsam." "Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben."

Nur dort ist die Liebe zu Gott, wo kraft der Gottes-Geburt und ihrer Welt-Überwindung seine Gebote gehalten werden. Wer Gott liebt wird von Gott anerkannt. Wer Christus liebt, wird sein Wort halten. Alle, die in ihrer Jesusliebe tun, was er gesagt hat, sind und bleiben die Geliebten Gottes. Zu ihnen kommt der Vater und der Sohn. Der Vater und der Sohn wohnen durch den Heiligen Geist in ihrer Mitte. Bis ans Ende gibt Jesus ihnen den herrlichsten Beweis seiner Liebe. Denen, die ihn lieben, bereitet Gott Dinge, die das Menschenherz nicht von ferne ahnen kann.

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2. Die Liebe zu den Brüdern.

Wer dem Geist des Lebens und seiner Einheit nicht völlig hingegeben ist, richtet als seelischer und in sich selbst zwiespältiger Mensch Spaltungen an. Die Sonderung des Eigenlebens und Eigentums, der liebeleere Eigenwillen ist das Wesen und der Charakter der Sünde. Diese gewaltige Macht der Sünde als der Waffe des Todes kann nur durch den überschäumenden Überschwang des Lebens überwunden werden. Gott ist das Leben. Er ist so überreich an Leben, daß sein Wesen die Liebe ist. Gottes Leben ist der Wille der Einheit und Gemeinschaft. Das Herz seiner Gerechtigkeit ist die sammelnde Liebe, die zusammenbringt, vereinigt und alles gemeinsam macht was zum Leben gehört. Wo das Leben stärker ist als der Tod, wird es als Liebe offenbar. Wo die Lebenskraft zunimmt, muß die Liebe wachsen. In Jesus ist das Leben erschienen. In Jesus ist die Liebe offenbar geworden. Wo sein Leben Wurzel faßt, offenbart er sich in reichen Früchten der Liebe. Man muß fest gegründet sein, um lieben zu können. Die Liebe wird nicht aus der Schwäche, sondern aus der Kraft geboren.

Wer an Mangel an Liebe leidet, suche die Erneuerung seines Lebens im Glaubensgrund der Gemeinde und in der Kraft des heiligen Geistes. Nur dann wird er in der Liebe Gottes fest bleiben können. Denn sein ganzes Leben wird er in heiliger Erwartung auf das Herz Jesu und auf Seine kommende Ewigkeit gerichtet sein und gesammelt bleiben. Eingetrock-

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netes Leben ist arm an Liebe. Quellendes Leben strömt aus in Liebe. Wo der Glaube durch Jesus Christus in Gott das Leben gefunden hat, entfaltet er sich in Liebe. Wer in Jesus seinen Eretter vom ewigen Tode gefunden hat, gibt ihm sein ganzes Herz in glühender Liebe. Wer durch die Gnade des Vaters ein Kind Gottes geworden ist, hängt an ihm in der kindlichen Liebe dankbaren Vertrauens. Wer in der Lebensgemeinschaft der Gottesgemeinde seine Heimat, seinen Glaubensgrund, sein Arbeitsfeld und den besten Weg zur Betätigung der Gottesliebe gefunden hat, liebt diese völlige Gemeinschaft der Gemeinde so sehr, daß er für diese Gemeindeliebe jedes Leid, auch den Tod auf sich nimmt, sobald es die Treue erfordert.

Wer Gott liebt, der ihn geboren hat, muß lieben, wer von ihm geboren ist. Liebe zu den Kindern entkeimt der Liebe zum Vater. Sobald wir Gott lieben, lieben wir seine Kinder. Wer seinen Erretter, Heiler und Gebieter Jesus Christus lieb hat, muß naturnotwendig Seine Jünger als die Glieder Seiner Gemeinde und Seines Reiches so lieben, daß die Tat es beweist. Denn sie sind es, die Ihm nachfolgen, indem ihr Leben Seinem Leben ähnlich - die Einheit und Hingabe der Gemeinde in der Reinheit der Gottesliebe verwirklicht. "Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht!"

Bruderliebe ist also von anderer Art und mehr als die erbarmende Liebe zu allen Menschen, die ebenfalls in der Gemeinschaft mit Gott lebendig wird, weil Gott ja alle Menschen lösen und sammeln will. So lange diese Sammlung nicht verwirklicht ist, darf und kann die rettende Liebe zu allen Menschen nicht Gemeinschaft und Einheit vortäuschen, wo grundlegende Verschiedenheit der Wegrichtung festgestellt

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werden muß. Die Liebe zu den Abwegigen und Widerstrebenden schließt jede Gemeinschaft mit ihrem Leben und Treiben aus; aus Liebe zu ihnen tut sie das, weil sie ja aus ihrer Finsternis herausgerissen und in das Leben unvermischten Lichtes gebracht werden sollen. Ganz anders die Bruderliebe, die sich an dem Glaubensleben und an seiner in der Gemeinde Gottes tätigen Liebe freut und bestärkt. Gegenseitigkeit im Dienst des Gemeindegeistes ist ihr Charakter. Die Liebe zu den Brüdern ist Ausdruck der Gemeinschaft, die sie als Gemeindeeinheit untereinander haben. Es ist die Liebe der Herzenseinheit, der der Geist gleichzeitig Quelle und Gegenstand ist. Wir lieben in den Brüdern den Vater und Seinen Christus. Wir lieben Bruder und Schwester, weil Leben und Wort Jesu, ja Jesus selbst in ihnen Gestalt zu gewinnen sucht. Auch von den Schwächsten unter denen, die Ihn so aufnehmen, können wir lernen. Keiner von ihnen können wir missen. Oft gelangt bei den Geringsten unter ihnen das Wesen Jesu am einfältigsten und am lebendigsten zur Geltung. Die Schrift sagt nicht umsonst: "Haltet euch zu den Niedrigen." Bei ihnen finden wir oft mehr echtes Gold des Glaubens und mehr Einfalt der Liebe, kurz, mehr unverfälschtes Leben als bei den Angesehenen, die in größter Geltung stehen. Die Armen, die geringen Leute, unterdrückte Proletarier und gescheiterte Existenzen müssen uns die Liebsten bleiben. Ihnen steht das Tor der Gemeinde vornehmlich offen, sobald sie nur wollen, lassen und lieben, was die Gemeinde will, läßt und liebt.

Aber auch Hochgestellte, Gelehrte und Reiche können wahre Brüder werden; aber nur dann können sie es, wenn ihnen das unerhört Schwere und Seltene geschenkt wird, daß sie in Einfalt des Glaubens und in Gelassenheit der

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Liebe ihren hohen Platz, ihre Weltweisheit und ihren Reichtum verlieren, aufgeben und hingeben, um im Gehorsam der Gemeinde die Niedrigsten, Einfachsten und Ärmsten zu sein. Dann werden auch sie zu den geliebtesten Brüdern gehören. Es ist nicht diese oder jene besondere Gabe, die Bruderliebe verursacht, sondern es ist das gemeinsame Leben in Gott und in Gemeinschaft Seiner Gemeinde. Es ist die Erfahrung Seiner Liebe, es sind die Beweise Seiner Kraft. Es ist die Gemeinde. Deshalb stützt Johannes den Beweis, das wir Leben haben, auf die Bruderliebe: "Wir wissen, daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind, denn wir lieben Brüder." Die von Herzen liebende Bruderliebe ist das hervortretende Merkmal einer lebendigen Gemeinde. Weil das Leben Jesu in den Geschwistern wirksam ist, lieben sie einander in frohem Vertrauen. Man kommt sich mit Ehrerbietung zuvor, weil man an dem anderen hinaufblickt als an einer Wirkung und einem Werkzeug der Gnade. Man nimmt keine Verdächtigungen und Verkleinerungen an, wie sie der Feind so gern gegen geliebte Geschwister richtet. Man spricht Gutes übereinander, weil man jede Gefahr der Sünde und gegenseitigen Entfremdung Auge in Auge durch die Liebe überwunden hat.

Wie traurig sieht dagegen das Bild in Kreisen aus, in denen das Leben zurückgegangen ist! Auf der einen Seite gibt man Anstoß, weil man die Vorsicht der Liebe Andersdenkenden und Ungetreuen gegenüber für unnötig hielt. Wenn wir im Gebrauch der Gemeindezucht und des Bannes, wenn wir in der Meidung falscher Lehren und götzenhafter Religionsgebräuche unbedachtsam und nachlässig werden, beflecken wir die Heiligkeit, die helle lichte Klarheit der Gemeinde. Und doch ist sie die einzige, reine Luft, in der die Liebe

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Gottes gedeihen kann. In verunreinigter Luft wird der Geist Jesu Christi, der allein die Liebe Gottes trägt, niemals bleiben können. Wie von der einen Seite diese weichliche Nachgiebigkeit und Vermischung, so verscheucht auf der andern Seite unbrüderliches Gerede den heiligen Geist. Man läßt sich zu den unheilvollen Afterreden verleiten! Bald kann es auf diesem Wege zu Streitigkeiten kommen, die auch den Außenstehenden nicht verborgen bleiben. Auf Jahre hinaus ist die Kraft mancher lebendiger Gemeinden durch solche Sünden lahmgelegt worden, wie es uns auch mancher Niedergang vergangener Zeiten zeigen kann. Zuletzt wird das Leben nicht mehr die Kraft aufbringen, wirklich Böses vergeben und beseitigen zu können! Dann aber steht die Gemeinde vor ihrem Untergang. Denn die Vollmacht der Vergebung ist das Geheimnis ihres Schlüssels, durch dessen Verlust ihre Tore ungeschützt dem Verderben offenstehen.

Das Wort Gottes kennt unsere Herzen. Wie ernst redet es über diese Waffen der Hölle, die das Leben der Gemeinde und die Liebe der Brüder ermorden wollen! "Was ihr einem einzigen unter Meinen geringsten Brüdern angetan habt, das habt ihr Mir angetan!" Ja, was ihr an ihren Ärmsten versäumt und unterlassen habt, das habt ihr an Mir, eurem Retter und Richter, versäumt. "Was richtest du deinen Bruder? Oder was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Christi gestellt werden!" "Aus deinen Worten wirst du gerichtet werden." "Die Menschen müssen Rechenschaft geben von einem jeden unnützen Wort, das sie geredet haben." "Wer seinem Bruder afterredet, der afterredet dem Gesetz," der versündigt sich am Heiligen. "So jemand sich läßt dünken, er diene Gott und hält seine Zunge nicht im Zaum, des Gottesdienst ist vergeblich." "So ihr den

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Menschen ihre Fehler nicht vergebt, kann euch euer himmlischer Vater eure Fehler auch nicht vergeben." "So jemand den Tempel Gottes verderbet, den wird Gott verderben. Der Tempel Gottes ist heilig, der seid ihr," die ihr zur Gemeinde und ihrem Ausbau berufen seid.

Die Gemeinde Gottes ist als das Haus Gottes dazu berufen, den Charakter Gottes in ihrer gesamten Lebenshaltung an den Tag zu bringen. Deshalb sind unsere hutterischen Gemeinden in der liebenden Gemeinsamkeit aller ihrer Güter, in der Eintracht und dem hingegebenen Gehorsam aller ihrer Glieder, in ihrer praktischen, in Liebe geborenen täglichen Gemeinschaftsarbeit, in ihrer einheitlichen Leitung und Einstimmigkeit des heiligen Geistes, in der ihnen anvertrauten Vollmacht des Gemeindegerichts und der Gemeindevergebung, in ihrer vollkommenen brüderlichen Gerechtigkeit und mit der offenen Tür ihrer werbenden Gastfreundschaft und Aussendung dazu berufen, das Reich Gottes in ihre Zeit hereinwirken zu lassen. Denn das Reich Gottes soll durch den heiligen Geist jetzt in der Gemeinde offenbar werden als Gerechtigkeit, Friede und Freude, wie es die Apostel und Propheten verkündigt hatten.