Eberhard Arnold

Jugend

[Arnold, Eberhard and Emmy papers – M.S.]

EA 21/21

Jugend

von Eberhard Arnold

1921

Wenn man von verschiedenen Strömungen in der deutschen Jugendbewegung hört, darf man nicht den Schluß daraus ziehen, daß diese Jugendbewegung keine Einheit mehr sei, sondern es ist ein Flußbett eines Stromes, der aber verschiedenartige Strudel und verschiedenartige Temperaturen aufweist. Die Einheitlichkeit der großen deutschen Jugendbewegung ist ganz leicht zu erfassen. Sie besteht in einem Lebensgefühl der unbedingten Lebensbejahung, und dieses Lebensgefühl umfaßt den Naturzusammenhang und den Menschheitszusammenhang in der Unmittelbarkeit des Empfindens.

Aus diesem Grundzug der deutschen Jugendbewegung ergibt sich die Opposition in allen Teilen der Jugendbewegung gegenüber dem Herkömmlichen und Erstarrten, gegenüber dem Begriffsstutzigen und dem Begrifflich-Verständigen (?), gegenüber dem Autoritativen und dem Dogmatischen, gegenüber dem Gesetzmäßigen und dem Gezwungenen. Die freie deutsche Jugendbewegung reißt sich los von der Tradition, sie befindet sich in bewußtem Gegensatz gegen die geschichtliche Überlieferung. Und dieser Gegensatz richtet sich in begreiflicherweise in besonderer Schärfe gegen die geschicht- liche Tradition der letzten Generationen. Diese letzten Generationen sind rationalistisch und historistisch gewesen, sie sind wissenschaftlich im rationalem, rationalistischem, intellektualistischem Sinn gewesen.

Das ist die heutige Jugend nicht. Die heutige deutsche Jugend ist natürlich auch andererseits nicht eine Verächterin der wissenschaftlichen Arbeit und des klaren, scharfen Denkens, das durchaus nicht. Aber sie hat mit jener Weltanschauung gebrochen, die in dem Rationalen die eigentliche Erfüllung und Lösung aller Fragen sieht. Die heutige Jugendbewegung ist sich darüber klar, daß die eigentliche Lösung der Lebensprobleme nur im Leben selbst gegeben werden kann. Nur das Leben selbst, das aus der unmittelbaren Wurzel des Seins emporquillt und emporwächst kann uns die Antwort auf die Rätsel des Lebens geben. Nicht aus dem Kopf, sondern aus dem

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Herzen kann gelebt werden. Der Kopf ist gewiß dazu da, daß er mit dem Herzen in Verbindung bleibt, aber er darf das Herz nicht regieren, vielmehr soll das Herz den Kopf leiten.

Aus dieser Grundeinstellung der deutschen Jugendbewegung hat man immer wieder den Vergleich mit der alten deutschen Romantik gezogen, und das mit einem gewissen Recht. Die alte deutsche Romantik hat dasselbe Gefühl; auch die alte deutsche Romantik wollte in dem tiefen Erlebnis des Naturzusammenhanges und des Menschheitszusammenhanges die Wirklichkeit selbst finden. Eine Wirklichkeit aber, die nicht in der starren Materie, die nicht im Jenseits, nicht im Wolkenkuckucksheim liegt, in dem einseitigen Anstieren der Materie gegeben werden kann, eine Wirklichkeit vielmehr, die nur in der letzten Einheit zwischen Materie und Geist gefunden werden kann.

Das also ist auch das Geheimnis der heutigen Jugendbewegung, daß sie das Paradoxe des Lebens erfaßt, daß sie in der scharfen polaren Gegenüberstellung aller Gegensätze des Seins die Fülle des Lebens selbst zu erfassen sucht. Und das ist es, was unsere Jugend an dem bisherigen Leben der Zivilisation und der Großstadt beanstandet und befehdet: man hat sich in die Dinge gegeben, in die Verhältnisse geschickt, in die Gesellschaft versklavt und dem Staate verkauft. Man hat dort einfach der Maschine gehorcht und hat so das Leben verloren, sein eigenes Herz durchdolcht. Und deshalb zog die deutsche Jugend heraus aus der Großstadt, heraus aus dem Elternhaus, heraus aus der Gesellschaftssphäre der Bürgerlichkeit, die im Zusammenbruch begriffen ist. Die deutsche Jugend zog hinaus in die Felder, hinaus in die Wälder, in die Berge, und sie suchte in diesem großen Exodus, in der großen Auswanderung aus der Großstadt sich selbst.

Und hier wieder ein Gegensatz: jeder junge (Mensch) fühlt es: er muß sich selbst finden, und zugleich: wenn er sich selbst findet, findet er die Gemeinschaft. So wurde dieses Gemeinschafts-Erlebnis zuerst in kleinen Wandervogelhorden gefühlt. Gruppen von 5-6, oder 10-12, Jungens und Mädels, zogen hinaus, wanderten miteinander, übernachteten in den Scheunen oder auf dem Felde, ohne Geld in der Tasche, wochenlang, am liebsten in den verstecktesten und unbewohnten Stücken der Heide und des Berglandes. Die erste Periode dieser Bewegung erschöpfte sich in dem unbewußten Gefühl und in der dämmerigen Ahnung eines Neuen, das hereinbrechen mußte. Man war glücklich und berauscht von dem vollkommen Neuen, sich einmal ganz unabhängig fühlen, unabhängig von der

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drückenden Last der elterlichen Autorität und der pädagogischen Beeinflussung. Aber bald bemerkte man es, daß das Ungewußte und Unterbewußte nach Erfüllung drängte und eine klare Sicht suchte; man merkte es, daß ein bloßes Ertrinken im Unterbewußten nicht die Erfüllung des Menschentums sein kann. So rang man um Klarheit. Die kam anders als man gedacht hatte; durch die Weltkatastrophe, durch den Weltkrieg und Weltrevolution. Diese elementaren Ereignisse rissen die deutsche Jugendbewegung aus allen Träumen heraus. 1913, da versammelte sich die große deutsche Jugendbewegung auf dem Hohen Meißner und legte sich gegenseitig das Geübte ab, in Tausenden von jungen Menschen, daß sie ihr Leben unabhängig, nach eigener Verantwortung, selbst gestalten wolle; und dann kam der Krieg.

Und nun zeigte es sich, daß dieser innere Wille mehr war als nur eine Formel, er war eine unersättliche Sehnsucht nach der letzten Freiheit und nach der letzten Gemeinschaft. Und durch die Ungeheuerlichkeit des Erlebens konnte es nicht ausbleiben, daß nun die verschiedenartigsten Strömungen desselben Wollens und Strebens sich zeigten. Auf der einen Seite drängte man nach der Erfüllung der Lebenssehnsucht und Gemeinschaftssehnsucht im Völkischen, und auf der anderen Seite fühlte man es, daß das Völkische nicht das letzte Ziel sein kann, sondern daß die Menschheit eine Gesamtgemeinschaft ist, die zu einer letzten Einheit führen muß. Aber beide Gruppen, die völkische wie die menschheitliche, wollten ja im Grunde dasselbe, eine Volksgemeinschaft, die sich aufbaut auf letzter, innerer Wahrhaftigkeit und Selbständigkeit, auf freier Entfaltung des persönlichen Lebens.

Und andererseits schien sich die Bewegung auch in tieferen Weltanschauungsfragen auseinander zu entwickeln; auf der einen Seite war das romantische Streben in ein Auseinanderfließen ausgeartet, und es erhob sich das drohende Gespenst einer völligen Vermischung aller Verhältnisse und Beziehungen der Menschen und Geschlechter untereinander; und auf der anderen Seite wurde man sich immer klarer und deutlicher bewußt, daß die letzte Freiheit in der letzten Bindung bestehen muß, und diese letzte Bindung kann ja nur eine solche sein, die in dem eigensten Innersten emporsteigt, die nicht irgendwie von außen her uns entgegengebracht wird. Diese letzte Bindung kann nur die Bindung des inneren, heiligen Sollens und Müssens sein, es kann die Erfüllung unseres eigenen "Ich's" nur sein, des Entdeckens und Findens des "Soll-ich" in uns.

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Und so kam der entscheidende und führende Teil der großen deutschen Jugendbewegung immer klarer zu der Erkenntnis, das Gewissen im Menschen, die letzte Verantwortlichkeit des Menschenherzens der Gesamtheit und dem Gesamtleben gegenüber kann allein die Erfüllung unserer Sehnsucht sein. Und den einen war dieses Gefühl ein rein unbestimmtes, ein uferloses, unklares "es", ein Neutrum, das man nicht fassen und ergreifen kann. Man suchte das eine kleine "Ich" zu erweitern und auszuspannen zu dem großen all-umfassenden "Ich" des Gesamtlebens, das Kosmos überhaupt und der Gesamtmenschheit, der gemeinsamen Beziehung aller Einzelsubjekte in dem großen Ich-subjekt. Andere aber fühlten es, daß das letzte Erlebnis des Soll- ich nur möglich ist, wenn das Ich einem Du gegenüber steht, und sie merkten es, daß die letzte innerste Stimme in unserem Herzen ein großes, letztes Du ist, das unser kleines Ich aufruft zu dem größten und entscheidendsten Du-Verhältnis, was gefunden werden kann. Man merkte es, die Sehnsucht der Jugendbewegung ist die Sehnsucht nach Gott, und dieses tiefe religiöse Empfinden hat in dem letzten Jahr immer weitere Kreise der Jugendbewegung ergriffen.

Auch in der proletarischen Jugend ist dieses religiöse Gefühl in Deutschland sehr vertieft und erstarkt. Die proletarische Jugend war hervorgegangen aus parteisozialistischen Bestrebungen. Die Sozialdemokratische Partei war die erste politische Gruppe, die den klugen, weisen Entschluß faßte, die Jugend zu organisieren. Die anderen Parteien folgten alle nach und lernten von der Sozialdemokratie. Aber die Sozialdemokratie ist es auch, die zuerst die Erfahrung machen mußte, Jugendbewegung läßt sich nicht kasernieren und organisieren; Jugendbewegung läßt sich nicht programmatisch, dogmatisch oder parteipolitisch festlegen, und so entschlüpfte das, was in der freien Jugend lebendig war, der Parteidoktrin und der Parteisdisciplin. Und die stärkste proletarische Jugendbewegung, die wir haben (viele Tausende), die "freie sozialistische Jugend", sympathisiert zwar aufs Stärkste mit der vereinigten (?) kommunistischen Partei Deutschlands, ist aber durchaus frei von der parteipolitischen Bevormundung der Sekretäre und Parteidogmen. Und außerhalb dieser großen "freien sozialistischen Jugend" gibt es gewisse föderalistische und anarchistische und anarcho-kommunistische Jugendverbände, die überhaupt nicht die geringste Fühlung mit der großen sozialistischen und kommunistischen Partei Deutschlands haben. Als das Wichtigste ist nun festzustellen: je radikaler die politische Richtung der parteifreien Jugend ist, umso religiöser ist die Kraft ihrer Bewegung. Die Mehrheits-sozialistische

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Jugend ist rein parteilich und hat von religiöser Beweglichkeit keine Spur irgendwie festzustellen; sie ist marxistisch-materialistisch. Die Jugend der unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands ist bereits wesentlich stärker von religiösen Momenten durchsetzt, und die freie sozialistische und föderalistische, anarchistische und anarcho-kommunistische Jugend ist aufs stärkste von den tiefsten religiösen Gedanken bewegt. Von entscheidendem Einfluß ist in dieser Hinsicht Gustav Landauer gewesen, ein Mystiker, der Meister Eckehard und andere deutschen Mystiker herausgegeben hat und seit Jahren den anarchistisch-kommunistischen Revolutionsgedanken in Deutschland vertreten hat. Gustav Landauer, ein tief religiöser Mensch, der sich in seltsamer Entschiedenheit zu Jesus bekannt hat als der einzigen entscheidenden Gestalt der Weltgeschichte für die Weltrevolution, Gustav Landauer wurde ermordet in München auf offener Straße, von den Stiefeln der Bourgeois zertreten. Sein letztes Wort war: Ihr irrt euch, ich habe nicht gehetzt, ich habe nur geliebt. Der Einfluß dieses Gustav Landauer in der freien sozialistischen und radikal kommunistischen und anarchistischen Jugend ist eminent. Und der herrschende Geist und der bestimmende Gedanke dieses Mannes ist ein religiöser.

Ihm kam alles darauf an, das Proletariat vom Marxismus zu erlösen; ihm kam es darauf an, dem Proletariat zu zeigen, es ist falsch, im Hegelschen Sinne auf eine historische Entwicklung materieller Verhältnisse und ökonomischer Gestaltung der Wirtschaft zu warten; es kommt auf etwas ganz anderes an als auf die Frage, ob das Kapital in Monopolen und Truste in die Hände der Masse übergehen kann; es kommt auf den Geist an, der Geist allein entscheidet über die Zukunft der Menschheit, und Geist ist nur dort, wo verbindender Geist ist. Es gibt keinen Geist, der nicht Gemeinschaftsgeist ist, es gibt nur einen Geist, den Geist der völligen Liebe. Und nur wo dieser Geist der unbedingten Liebe sich entfaltet, gibt es menschliche Gemeinschaft, und wo diese menschliche Gemeinschaft begonnen hat, ist der Bruch mit den Gegebenheiten der Zivilation und Gesellschaftskaste vollzogen, wo dieser verbindende Geist der völligen Liebe eingesetzt hat, ist die Befreiung von der Dinglichkeit gegeben, ist der Bruch mit der kapitalistischen Weltordnung vollbracht. Hier setzen ganz andere Lebenskräfte ein als draußen in dem Kampf ums Dasein, wo jeder sich als Feind des anderen fühlt und wo einer den anderen in dem Konkurrenzkampf zu erdrücken und zu bedrohen sucht, hier

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herrscht der Geist, die All-Einheit des Lebens, hier setzt das große Ja zum Leben ein, das allein aus der Liebe geboren werden kann, hier wird die Liebe offenbar als das überfließende Leben, als das Wachstum eines Baumes, der in der Tiefe wurzelt und seine Zweige in die Höhe und Weite ausdehnt. Nur wachstümliches Leben, nur freie Gestaltung der Lebensenergie von innen heraus kann die Menschheit neu aufbauen. Die innere Folgerichtigkeit dieses Lebensimpulses in der proletarischen und bürgerlichen Jugend, angeregt durch Gustav Landauer, geht auf den Neuaufbau neuer Lebensgemeinschaft. Frei von der bisherigen Schichtung der Berufsstände, frei von den bisherigen Tauschmitteln des Geldes, frei von der bisherigen Schichtung der Gehälter, der Honorare und der Unterschiede zwischen den Menschen, frei von der Wertung der Menschen als Ware und als Sklave in jeder Hinsicht gilt es, Menschen zusammenzubringen, die einander vertrauen und einander lieben, und es gilt, diese Menschen zusammenzubringen in Lebensgemeinschaften, die Produkte arbeitender Gemeinschaften sind.

Eine solche Lebensgemeinschaft, die zugleich Arbeits- gemeinschaft ist, ist aber heute nicht denkbar in der Großstadt. Sie kann wohl darin versucht werden, aber die Großstadt ist der entscheidende Feind des organischen Lebens. Wie in dem Straßenpflaster kein Baum, keine Pflanze und Blume gedeiht, so kann in dem nebelgrauen Häusermeer der Großstadt kein Menschenherz wachsen, und wie die Familien, die vom Lande her in die Großstadt kommen, nach einigen Generationen aussterben, so muß auch die lebendige Seele des Einzelnen in der Großstadt ertötet werden. Denn die Menschen der Großstadt, die einander begegnen, sehen einander nicht, keiner schaut das Herz des anderen, keiner lebt in dem anderen, keiner weiß die inneren Gefühle des anderen, und keiner liebt den anderen.

Deshalb gilt der Ruf der ganzen Jugendbewegung von der bürgerlichen Rechten bis in die radikalste Linke hinein, hinaus aufs Land, tragt den Geist aufs Land, die Kultur des umfassenden Geisteslebens verwurzelt im Acker der Erde, mit frischem Erdgeruch an Füßen und Händen hinein in den Windhauch und Sturm des Geistes. Nur wenn es uns gelingt auf dem Lande wahre Kultur zu schaffen, nur wenn es uns gelingt, auf dem Lande ein umfassendes Geistesleben mit unbedingter Freiheit der einzelnen Persönlichkeit in wirklicher Gemeinschaft aufzubauen, kann an einen neuen Menschheitsanfang gedacht werden. Können wir diesen Glauben nicht aufbringen, dann stehen wir im Untergang des Abendlandes. Denn die Zivilisation zerbricht und ist in sich selbst vergiftet und dem Tode verfallen. Sie frißt sich gegenseitig auf, sie tötet sich mit allen Mitteln der Gewalt und des Hasses.

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Die neue Jugend sucht den Weg der Liebe und der Kraft, allem Niederbruch gegenüber einen Aufbau wahren, lebendigen, organischen Wachstum zu finden. Und das ist nun das Große und Gewaltige in der heutigen Jugendbewegung: sie fühlt es, die letzte Einheit in dem All-einen, die letzte Einheit des Naturzusammenhanges und des Menschheitszusammenhanges kann nur in der Fühlung des wahren Menschentums, kann nur in der Gemeinschaft mit Gott gefunden werden.

Und so leuchtet in der deutschen Jugendbewegung die eine Gestalt des einen Menschensohnes von Neuem auf, frei von der Dogmatik der Kirche, frei von den Überlieferungen der Schule, frei von dem Zwange des Elternhauses, steht der große Kämpfer gegen Gesetz und Moral und Tradition wieder vor der Jugend und ruft sie auf, und wieder tönt sein Ruf ins Herz. "Wenn euer Gutsein nicht anders ist als das des Moralisten und Theologen, so könnt ihr nicht in das neue Reich kommen."

Und der Durst der Jugend geht auf das neue Reich. Die Jugend lebt in der Gegenwart, sie lebt dem Augenblick; sie ist proletarisch eben in dem Sinne: der Proletarier hat keine Geschichte; de Proletarier hat nichts (aufzuweisen) aus seiner Vergangenheit, und der Proletarier kann nicht auf weite Sicht mit der Zukunft rechnen; der Proletarier lebt im Augenblick, und deshalb ist der Proletarier prädestiniert wie kein anderer, ein Kind Gottes zu werden; denn das ist das Geheimnis der Religion:das Leben im Augenblick, das eben als Kind, das Leben in der letzten Einfachheit und Schlichtheit, das Leben ohne Sorgen für den morgigen Tag, das Leben ohne Berechnung der Zukunft, das Leben wie die Blumen auf dem Felde und wie die Vögel unter dem Himmel.

Und doch vereint sich mit dieser letzten Naivität des Augenblicks, mit dieser tiefsten Religion, in welcher das Ewige hereinbricht in jedem Moment, die Schau der Zukunft: denn wer den Augenblick ergreift, der ist der rechte Mann, der Mann der Tat und der Arbeit. Wer den Augenblick ergreift, der sieht nach vorn, und die deutsche Jugendbewegung hat gebrochen mit jenen Fratzen, die Dante in die Hölle verdammt, mit jenen Gestalten, deren Gesicht nach hinten gedreht war, die immer das Vergangene, die Überlieferung betrachten.

Die deutsche Jugendbewegung ist nach vorn gerichtet, und sie lebt in Erwartung einer neuen Zukunft, in Erwartung einer neuen Menschheit, in Erwartung eines neuen Reiches; sie ist eschatologisch

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aber nicht eschatologisch in dem Sinne einer Berechnung, nein! eschatologisch im Sinne einer inneren Haltung, einer Wesentlichen Lebensbestimmtheit; die deutsche Jugendbewegung ist eschatologisch, weil sie einen neuen Himmel auf einer neuen Erde erwartet, weil sie eine Weltordnung der Gerechtigkeit und der Freude, eine Weltordnung Gottes auf diese Erde herabsehnt und herabliebt.

Deshalb erleben wir hier die erschütternde Tatsache: in einer Bewegung, die sich ganz frei gemacht hat von der Überlieferung, ist wieder die Einheit mit jenem einen Punkt in der Geschichte der Menschheit gefunden, die Einheit mit jenem einen Punkt, in dem das Ewige und Unendliche, das Zeitliche und Räumliche völlig überschwemmt und überwältigt, die Einheit mit Jesus. -