Eberhard Arnold

Gegen Blut und Gewalt

[Arnold, Eberhard and Emmy papers – P.M.S.]

Das neue Werk, 3. Jahrgang, 15. April 1921, Nummer 1

EA 21/11

Gegen Blut und Gewalt

Im Staatsleben, in dem Kampf der Völker und in dem Daseinskampf der Volksklassen kommt es wieder und wieder zu einer gewaltsamen Entladung der aufgehäuften Spannungen und Gegensätze, der gegenseitigen Bedrückung und Unterdrückung und nicht zum letzten auch der wildesten ungezügelten Triebe der chaotischen begehrlichen Leidenschaften. In den letzten Wochen hat sich dieser vulkanische Ausbruch blutdürstiger Gier und unbarmherziger Maßnahmen von verschiedenen Seiten her so stark angehäuft, daß es notwendig ist, hier ein klares Wort zu reden. Mögen andere ihre Aufgabe darin erblicken, die staatlichen Ordnungen mit mörderischen Mitteln aufrecht zu erhalten. Mögen andere sich berufen glauben, für das Proletariat, für die Zukunft der Gerechtigkeit und des Friedens mit bluttriefender Faust zu kämpfen. Mögen andere es für notwendig halten, die deutsche Versklavung so bald als möglich durch einen neuen immer schrecklicheren Krieg abzuwehren. Mögen andere die Rasseinstinkte als ihr Heiligtum betrachten, und so der fremden Rasse Krieg ansagen. Wir haben einen Lebensinhalt, der tiefer gewurzelt ist. Uns ist eine Lebensaufgabe auferlegt, die weiter blickt. Uns ist das Geheimnis des Lebens offenbart. Uns ist es aufgegangen, denen Christus alles bedeutet. Wir fühlen uns in dem großen "Wir sind" eins mit der ganzen Christusgemeinde, in welcher keine Gruppe und kein Einzelner sich auf sich selber stellen kann. Der eine wie der andere ist Glied und Organ an dem einen beseelten Körper, dessen Geist, dessen Haupt und Herz der kommende Christus ist. So ist denn unser Lebenszeugnis nichts anderes als sein Leben selbst. Er hat uns das Geheimnis des Lebens aufgeschlossen, wenn er uns auf die Vögel in der Frühlingsluft, auf die Blumen auf der Wiese hingewiesen hat, wenn er nur von dem gesunden Baum gute Frucht erwartete, wenn er uns das Herz des Vaters offenbarte, der für die Guten und Schlechten seinen Regen und seine Sonne sendet.

Das Leben ist Wachstum und Werden. Das Leben ist Entfaltung der Liebe. Das Töten gehört nicht dem Leben, sondern dem Tode an. Die Gewalt und der Zwang gehören nicht zum Wachstum, sondern zur Unterdrückung des Lebens. Uns ist das Zeugnis aufgetragen, für nichts anderes da zu sein als für das aufbauende Leben. Es kommt hier zunächst nicht darauf an, ob das Wachstum dieses Lebens als Evolution oder als Revolution in Erscheinung tritt. Es wird zugleich Entwicklung und zugleich Umwälzung sein. Denn Leben heißt: abstoßen, was sterben will. Und Leben heißt: verschenken, was Leben erweckt. Aber alle Entwicklung und Umwälzung ist nicht imstande, die tiefste Wurzel des Weltleides - die Weltschuld - das tödliche Gift des Bösen - des Hasses, der Gier, der Entartung, des Tötens - zu beseitigen. Die neue Geburt wird von dem wachstümlichen Leben hervorgebracht. Sie kommt von

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demselben Gott, der in allem Leben wirksam ist. Aber sie bedeutet für ein neues Werden zugleich immer wieder ein Losreißen, eine Revolutionierung des Alten, eine schmerzhafte Befreiung. Diese neue Geburt braucht jeder einzelne Mensch wie die Gesamtheit aller Menschen.

Wir glauben an diese neue Geburt des Lichtlebens aus Gott. Wir glauben an die Zukunft der Liebe und der aufbauenden Menschheitsgemeinschaft. Wir glauben an den Frieden des Gottesreiches, an sein Kommen auf diese Erde. Dieser Glaube ist kein Spiel mit einem zukünftigen Gebilde, das heute nur in der Phantasie besteht. Nein. Derselbe Gott, der diese Zukunft bringt, schenkt uns heute sein Herz und seinen Geist. Er heißt "Ich bin der Ich bin". Sein Wesen ist heute dasselbe, wie es sich in seiner Zukunft erweisen wird. In Jesus hat er sein Herz offenbart. In dem gegenwärtigen Christus schenkt er uns seinen Geist. In seiner Gemeinde lebt er das Leben Jesu noch einmal als in dem leibhaftigen Leben des Christus. Diese Gemeinde ist der verborgene Lebenskeim des zukünftigen Reiches. Ihr ist der Friedenscharakter und der Liebesgeist der Zukunft anvertraut. Deshalb erweist sie sich in dieser Welt als Gerechtigkeit und Friede und Freude, auch in der Gegenwart.

Von diesem Lebenszeugnis aus wenden wir uns gegen Blut und Gewalt, von welcher Seite diese Todesmächte auch kommen mögen. Wir rufen die christlichen Zeugen des Auslandes auf, gegen die mörderischen Gewaltmaßnahmen des Pariser und Londoner Diktats mit allem Nachdruck aufzutreten. Denn dort wird abermals durch die Obrigkeit so vieler verantwortlicher Regierungen ein Massenmord mitten im sogenannten Frieden durchgeführt, der es von neuem erschreckend beweist, daß es kein christliches Europa gibt.

Zugleich wenden wir uns gegen den Blutdurst solcher Geister wie Rudolf Lebius in der Staatsbürgerzeitung. Dort greift man, wie uns von der "Freideutschen Jugend" (1921 Heft 3) belegt wird, den pazifistischen Bund "Neues Vaterland" an, weil dieser gegen die Kriegshypnose Front gemacht hat. Es wird zu offenkundigem Mord aufgefordert. Die Staatsbürgerzeitung schreibt: "Der Liga gehören unter anderen an Maximilian Harden , Professor Einstein, Professor Förster , Herr von Gerlach . Hier liegt glatter Volksverrat vor. Wir würden jeden Deutschen, der diese Schufte niederschießt, für einen Wohltäter des deutschen Volkes erklären. Wir wundern uns überhaupt, daß sich niemand dazu bereit findet. Fast zwei Millionen Deutsche haben ihr Leben für die Sicherheit des deutschen Volkes geopfert. Warum findet sich jetzt niemand, der das deutsche Volk von diesen Verbrechern befreit?" In aller Öffentlichkeit wird hier das niederträchtigste Verbrechen deshalb als Wohltat erklärt, weil die zu ermordenden Männer für Frieden eingetreten sind.

Zugleich hört man in Deutschland immer häufiger von der baldigen

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Notwendigkeit eines Befreiungskrieges, von stillen Vorbereitungen auf diesen Krieg und von den bürgerlichen Waffenrüstungen gegen eine neue Revolution. Wir ersehen aus diesen Tatsachen, daß unser Zeugnis des Friedenswillens, der Liebe um jeden Preis auch um den Preis des eignen Lebens niemals notwendiger gewesen ist, als in der heutigen Zeit. Diejenigen haben geirrt, die uns vorzuwerfen meinen, wir sprächen von Waffenlosigkeit, von Dienstverweigerung, von Wehrlosigkeit, von der Jesusnachfolge in einer Liebesausstrahlung, die jede Gewalt ausschließt, die jede Schädigung des andern unmöglich macht, zu einer Zeit, in der diese Frage gar nicht akut sei. Sie ist heute mehr akut als je, und es wird sich zeigen, daß zu dem Ausharren in der unbedingten Liebeshaltung die letzte Tapferkeit, der Mannesmut bis in den Tod gehört.

Der blutige Aufruhr der letzten Wochen , dessen Verbindung mit der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands jetzt durch Dr. Levi den traurigen Nachweis erfährt , hat dies aufs stärkste bewiesen. Es hat sich hier gezeigt, daß auf der Seite der Revolution die Bereitschaft zu Blutvergießen und mörderischem Verbrechen aller Art noch stärker zum Ausbruch treibt als auf der Seite der Reaktion. Wir haben mit dieser blutigen Gewalt der Kommunisten so wenig, so schlechterdings gar nichts gemein, daß wir sie als den verderblichsten Verrat an den Friedens- und Gemeinschaftsforderungen des Weltgewissens empfinden. Wer den Teufel durch Beelzebub austreiben will, wer die glimmende Glut der Völkerkriege durch das lodernde Feuer der Bürgerkriege löschen will, gehört nicht auf die Seite dessen, der den Starken gebunden hat, als er wehrlos den Tod der letzten Befreiung erlitt.

Jesus wußte, daß er niemals als der Gewaltsamere, sondern als der Liebesstärkere über den Erdgeist siegen konnte. Deshalb überwand er die Versuchung, die Herrschaft der Weltreiche irgendwie an sich zu reißen. Seine Verkündigung war die der gegenwärtigen und zugleich kommenden Gottesherrschaft. In seinem Leben und Wirken, in seinem Wort und in seinem Leid war der Wille Gottes Gegenwart und Gestalt. Deshalb konnte er in seiner Bergrede von den Liebesstarken, von den Friedenswirkenden, von den Menschen des Herzens sprechen, die das Land ererben und das Erdreich besitzen werden, denen das Gottesreich gehört. Er nahm die uralte Friedenspredigt und Gerechtigkeitsbotschaft des Zukunftreiches Gottes auf. Er vertiefte das entscheidende Lebenswort: "Du sollst nicht töten!", das den Mord als Urfrevel am Leben für jeden Fall ausschließt. Er zeigt den Menschen, daß das rohe Anfassen die brutale Vergewaltigung des Seelenlebens, ebenso unter dieses Wort fällt, ebenso Leib und Leben, also Gott verletzt wie die Tötung des Leibes.

Es ist deshalb so tief zu bedauern, daß die entschiedenen Christen der Gemeinschaftsbewegung heute nicht dieses einfache klare Zeugnis Jesu und des Urchristentums haben, wie es lebendige biblische Gemeinden und

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Gemeinschaften anderer Jahrhunderte so stark verkündet und vertreten haben. Es ist ein Irrtum und eine Unwahrheit, wenn "Jüngst", der Verfasser jenes Deutschnationalen Aufrufes des Pressebundes meint, daß es sich um religiös-liberale, der Bibel kritisch gegenüberstehende Kreise handelt, die gegen den Geist jenes Aufrufes und nicht zum letzten gegen seine Vermischung mit dem Kriegswillen des Nationalismus ihre Stimme erhoben. Leider hat jetzt auch die Gemeinschaftszeitschrift "Auf der Warte" einen Aufsatz "Du sollst nicht töten", von Karl von Wachter, Kempten aufgenommen, der den biblischen Realismus des Gottesglaubens und Gottesreiches völlig vermissen läßt und so weit geht, daß er in seinen abschließenden Sätzen sagt: "Vom Standpunkt der Bibel aus kommt also dem Kriege, richtig verstanden, eine der Langmut Gottes entsprechende, aufschiebende und erhaltende Bedeutung im göttlichen Weltplane zu, während der Weltfriede nicht nur, wie wir schon feststellen konnten, den Boden, das heißt die Möglichkeit für den Zusammenschluß der antichristlichen Mächte schaffen, sondern indem er, die Weiche umlegend, den Haß auf ein neues Geleise führt, das antichristliche Reich unmittelbar hervorrufen wird. Dann ist aber der Pazifismus den "kräftigen Irrtümern" beizurechnen, vor denen die Bibel warnt, und seine Apostel den "Lügenpropheten", die viele irreführen werden." Vieles in diesem Aufsatz ist zweifellos richtig gesagt. Menschen, die glauben, daß sie den Kriegen auf Erden ein Ende bereiten könnten, sind freilich Irrgeister, die einer krankhaften Täuschung und Selbstüberschätzung erlegen sind, ganz gewiß ist die Grundverderbnis des menschlichen Herzens eine Tatsache, die es zu keinem dauernden Frieden unter den Völkern und unter den Menschen überhaupt kommen läßt. Wenn also der gesamte Aufsatz im "Türmer" erscheint, wo es sich einfach um die geschichtliche Voraussetzung der Notwendigkeiten politischer Gewalt handelt, so ist das begreiflich. Aber ein Blatt, das sich auf die Bibel beruft und die Gemeinde Christ vertreten will, sollte doch wissen, daß lebendige und entschiedene Christen den Krieg und den Beruf des Kriegers als mit dem Beruf des Christentums unvereinbar empfunden haben. Ganz gewiß muß es in der heutigen Zeit Polizeitruppen geben. Der Dienst einer solchen Truppe ist moralischer als der Konkurrenzkampf zweier Geschäfte, von denen nur eins am Leben bleiben kann. Aber es geht hier tatsächlich um andere Fragen, um die Frage der Sendung des Christuszeugnisses, um die Gemeinde und ihren Auftrag. Wir wissen, daß Luther darüber so gedacht hat, wie es Karl von Wachter geschildert hat. Es ist aber nicht wahr, daß nicht nur für Luther, sondern auch für die ganze Zeit, der die Bibel als unbedingte Autorität galt, der Pazifismus eine unbekannte Größe war, daß erst ein rationalistisch verwässertes, unmännliches Christentum der Boden wurde, auf dem "der unmännliche Pazifismus" sich entwickeln konnte.

Wir leugnen weder das radikal Böse, die Sünde, noch verleugnen wir

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das Weltende. Aber wir glauben nicht an das Böse, sondern an Gott und sein Weltende, an die Wiedergeburt der Erde und der Menschheit. Dieser Glaube ist nicht Evolutionismus eines unaufhaltsamen Aufsteigens zu immer größerer sichtbarer Vollkommenheit; sondern er glaubt ebensosehr an das Wachstum des Gotteskeimes in den Gewissen, im Geist Christi, in der Wiedergeburt der Einzelnen, in der Gemeinschaft der Gemeinde, wie an die Umwälzung der Weltkatastrophe, des Weltgerichts im Krieg, Revolution und anderen letzten Schrecken, in dem Zusammenbruch der entarteten und verderbten Zwangswelt. Dieser Glaube erwartet alles von Gott und von Gott allein; aber er ist sich gewiß, daß Gott in allen Menschen sein Samenkorn und sein Licht auswirkt und in seiner Christusgemeinde sein Herz und sein zukünftiges Reich offenbart. Freilich ist es richtig, daß die Spannung zwischen dem Antichristlichen und dem Christusleben heute überall auch mitten in der christlichen Gemeinde vorhanden ist. Sie wird umso stärker, je rückhaltloser man den Glauben an die völlige Liebe und an das Zukünftige und Kommende wahrt. Der Glaube fürchtet sich nicht vor dem Zusammenprallen der antichristlichen und christusgewirkten Geisteskräfte, sondern er erwartet und ersehnt ihn, weil endlich das Ende und das ganz Neue kommen muß.

Wir hoffen, daß uns D. Traub jetzt besser verstehen wird, nachdem er in seinen "Eisernen Blättern" vom 20. März 1921 über das "neue Werk" und den Neuwerkverlag geschrieben hat: "Christus hat mit Völkerversöhnung ebenso wenig etwas zu tun gehabt, wie mit Krieg. Er wäre nie einem solch internationalen Programm beigetreten, denn er liebte die Seele des Einzelnen und wirkte im übrigen für sein Volk." D. Traub meint, daß sein Schädel es nicht zusammenbringen könne, wie wir uns in ein und demselben Blatt für Johann Tobias Beck und für russischen Kommunismus aussprechen können. Wir können das auch nicht, denn wir sprechen uns nicht für den russischen Kommunismus aus. D. Traub irrt sich, daß wir die Reformpläne der 3. Internationale für die Jugendbewegung veröffentlicht haben. Wir haben im "neuen Werk" keine "wild kommunistischen Zeiten reinen Idealismus" gehabt. Wir sind nicht für Lenin eingetreten. Aber wir bringen es nicht zusammen, wie D. Traub sagen kann: "Jesus und Lenin gehen niemals zusammen!" und wie er zugleich dafür eintritt, daß man Bismarck und Ernst Moritz Arndt die Nähe des Christus zusprechen solle. Welcher grundsätzliche Unterschied besteht hier zwischen Bismarck und Lenin? Beide kämpfen aus Idealismus für Volksgemeinschaft und Menschheitsgemeinschaft. Gewiß hat Bismarck täglich die Losungen der Brüdergemeine gelesen und tiefchristliche Worte gesagt, was wir von Lenin so nicht wissen, während in der Berliner Zentrale der Vereinigten Kommunistischen Partei Deutschlands wir Leute kennen, die dieselben Losungen und dasselbe Neue Testament lesen und im tiefsten Sinne aufrichtige Mystiker sind.

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Gewiß ist das Mittelalter nicht von vornherein antichristlich gewesen, weil es Gewalt angewandt wie Bismarck und Lenin; - wenn es auch zweifellos in vielen Stücken Jesus und seine Botschaft nicht verstanden hat. Aber ebenso gewiß ist in dem Gewissen der sozialistischen und pazifistischen Zukunftsforderung Christus lebendig wirksam. Wir freuen uns, daß D. Traub fühlt, daß ihm aus dem "neuen Werk" eine Christusbegeisterung wie feurige Lohe ins Gesicht schlägt: "Christus das A und das O!" Aber wir begreifen nicht, wie er von christusmystischem "Bolschewismus" sprechen kann, wenn er eben den Antimilitarismus, die Verurteilung jeden blutigen Kampfes, die Ablehnung der politischen Parteibestrebungen festgestellt hat. Wird hier das Schlagwort "Bolschewismus" nicht gänzlich gemißbraucht und in sein Gegenteil umgekehrt? Wir lehnen diese Bezeichnung für uns alle entschieden ab. Aber es ist ein Irrtum, wenn D. Traub meint, Jesus hätte nur der hungernden Seele Nahrung schenken wollen. Jesus hat sich um den Leib ebenso gemüht, wie um die Seele des Einzelnen. Jesus hat die zukünftige Weltordnung des Friedens und der Gerechtigkeit von Johannes dem Täufer und dem alttestamentlichen Prophetentum ebenso bestimmt übernommen, wie die Verkündigung der Wiedergeburt des Einzelnen.

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Weil wir wissen, daß es heute viele gibt, die die altbiblische Sprache nicht mehr oder noch nicht aufnehmen können, sagen wir dieselbe Botschaft in neuer Form, so oft es uns gegeben wird. Wir schließen deshalb auch dieses Bekenntnis mit Worten, die Hermann Hesse über das Lebenswort "Du sollst nicht töten!" gesagt hat in seiner Zeitschrift Vivos Voco März 1919:

"Wir sind noch nicht Menschen, wir sind nur auf dem Wege zum Menschentum. - Jeder Schüler Laotses, jeder Jünger Jesu, jeder Nachfolger des Franz von Assisi war vor vielen Jahrhunderten weiter, unendlich viel weiter, als Gesetz und Vernunft der Kulturwelt heute sind."

Aber der Satz: "Du sollst nicht töten!" ist seit Tausenden von Jahren von Tausenden von Menschen treu in Ehren gehalten und befolgt worden. Dem Alten Testament ist ein neues gefolgt, Christus war möglich, die teilweise Befreiung der Juden war möglich, die Menschheit hat Goethe, hat Mozart, hat Dostojewski hervorgebracht. Und immer war eine Minderheit von Wohlmeinenden da, von Gläubigen der Zukunft, welche Gesetze befolgten, die in keinem weltlichen Gesetzbuch stehen. Auch während dieses scheußlichen Krieges haben Tausende von Menschen sich zu ungeschriebenen, höheren Gesetzen bekannt, haben als Soldaten Milde geübt und dem Feind Achtung gezeigt oder haben standhaft sich der Pflicht zum Morden und Hassen geweigert und sich dafür einsperren und quälen lassen.

Um diese Menschen und Taten schätzen zu können, um den Zweifel an der Entwicklung des Tieres zum Menschen zu überwinden, muß man im Glauben leben. Man muß Gedanken ebenso hoch werten können wie

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Flintenkugeln oder Geldstücke, man muß Möglichkeiten lieben und in sich pflegen können, man muß in sich selbst Zukunftsahnungen und Entwicklungsreihen spüren und träumen können.

Der "Praktiker", der in den Sitzungen und Kommissionen immer recht hat, hat außerhalb seiner Kommissionen immer und immer Unrecht. Recht hat immer die Zukunft, der Gedanke, der Glaube. Denn aus dessen Motor wird die Welt mit Kraft gespeist, aus keinem andern.

Ein schönes Beispiel, das auch die "Praktiker" anerkennen werden: Peters erzählt einmal in seinen Kolonialerinnerungen von Negern, denen er befohlen hatte, Kokospalmen zu pflanzen. Die Neger weigerten sich so Mühsames und Unsinniges zu tun. Peters rechnete ihnen vor, daß die heute gepflanzten Bäume in acht bis zehn Jahren groß seien, Früchte tragen und die heutige Mühe hundertfach lohnen würden. Das wußten nun die Neger zwar auch, denn sie sind keineswegs dumm. Aber daß ein Mensch sich für einen Lohn, der in zehn Jahren erst fällig wird, heute schon plagen soll, das fanden sie wahnsinnig, und lachten die einfältigen weißen Leute dafür herzlich aus.

Wir Geistigen, wir Dichter, wir Seher, wir Narren und Zukunftsträumer sind es, welche die Bäume für später pflanzen. Viele von diesen Bäumen werden nicht gedeihen, viele Samen werden taub sein, viele unserer Träume werden sich als Irrtümer, als Irrwege, als fehlgeschlagene Versuche erweisen. Was schadet es?

Und immer wieder werden wir Gläubigen der Zukunft jene alte Forderung erheben: "Du sollst nicht töten". Auch wenn alle Gesetzbücher der ganzen Welt einmal das Töten verbieten werden, (einbegriffen das Töten im Krieg und das Töten durch den Henker), wird die Forderung niemals verstummen. Denn sie ist die Grundforderung jedes Fortschrittes, jeder Menschwerdung.

Wir töten so viel! Wir töten ja nicht nur in den dummen Schlachten, in den dummen Straßenschießereien der Revolution, in den dummen Hinrichtungen - wir töten auf Schritt und Tritt. Wir töten, indem wir begabte junge Menschen aus Not in Berufe gehen lassen, für die sie nicht geeignet sind. Wir töten, indem wir vor Armut, Not, Schande die Augen zudrücken. Wir töten, indem wir aus Bequemlichkeit abgestorbenen Einrichtungen in Gesellschaft, Staat, Schule, Religion gelassen zusehen und Billigung heucheln, statt ihnen entschlossen den Rücken zu kehren. Wie für den konsequenten Sozialismus das Eigentum ein Diebstahl ist, so ist für den konsequenten Gläubigen unsrer Art jedes Nichtanerkennen von Leben, jede Härte, jede Gleichgültigkeit, jede Verachtung nichts anderes als Töten. Man kann nicht nur Gegenwärtiges töten, sondern auch Zukünftiges. Mit einem bißchen witziger Skepsis kann man in einem jungen Menschen eine Menge Zukunft töten. Überall wartet Leben, überall blüht Zukunft, und wir sehen immer nur wenig davon, treten vieles davon beständig mit Füßen. Wir töten auf Schritt und Tritt.

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Jeder einzelne von uns aber hat vor allen Dingen eine persönliche Aufgabe! Nicht das Ganze der Menschheit ein Stückchen zu fördern, nicht eine einzelne Einrichtung zu verbessern, nicht eine einzelne Art des Tötens abzuschaffen, ist meine und deine wichtigste Aufgabe, Mitmensch, so gut und notwendig dies alles auch ist. Unsre erste Aufgabe als Menschen ist: innerhalb unseres eigenen, einmaligen, persönlichen Lebens einen Schritt weiter zu tun vom Tier zum Menschen.

Wie deiner Augen Glanz muß mein Heimatlicht sein

Ich erkenne darin den ewigen Schein.

Du magst lächeln oder die Brauen finster falten

Nie kannst Du dein Wesen verborgen halten.

Wir sind uns nah wenn auch dein Schwert gezückt

Selbst wenn du Haß mir bringst, macht mich dein Sein beglückt

Ich kann dir Bruder keinen Schmerz bereiten

Wir gehören zusammen seit Ewigkeiten.

Ich muß dich lieben, ob du mild oder hart

In jeder Härte ist noch brüderliche Gegenwart

Und wenn du nah mir bist, ist Gott mir nah

Für Gott ist die Liebe getan, die dir geschah!