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Gott Mammon

EA 24/06

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Author Eberhard Arnold
Date October 18, 1924
Document Id 20125987_16_S
Available Transcriptions German

Gott Mammon

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - Df.]

EA 24/06

Eberhard Arnold Vortrag in Lichstenstein

Gott Mammon

Der persische Prophet Zarathustra trat in uralter Zeit unter die Menschen und gab ihnen ein dreifaches auf den Weg, wonach sie das wahre Leben auf der Erde gewinnen könnten: die Wahrheit, die Reinheit und die Arbeit auf dem Lande. Dieser führende Geist erkannte jedoch, dass der gewaltigen Kraft der Wahrheit, Reinheit und der Arbeit und der sich aus dieser Dreieinheit ergebenden Gemeinschaft der Liebe eine andere Kraft entgegengesetzt ist. Es sah es, dass zwei entgegengesetzte Mächte in dieser Welt wirksam sind. Zarathustra war der erste Prophet der diese Erkenntnis außerhalb des jüdischen Prophetismus aufs stärkste zum Ausdruck gebracht hat. Aber diese beiden Gewalten entgegengesetzter Spannung sind bei ihm nicht etwa wie im modernen Dualismus als Diesseits und Jenseits, als Geist und Stoff von einander unvereinbar geschieden, sondern vielmehr wie Gut und Böse, wie Leben und Tod, Licht und Finsternis, als der Gegensatz des Dunklen und des Hellen, als der Unterschied von Tag und Nacht in der gegeneinander gesetzten Spannung zweier Pole gesehen, die sich gegenseitig herausfordern. Es geht ihm um die kraftvolle Darstellung des großen Kampfes zwischen der guten und schlechten Macht in dieser Welt.

Jeder Abend, wenn die Sonne untergeht, jede immer dunkler werdende Nacht, in der der Mond über die tiefblaue Dunkelheit am Gestirnhimmel siegt, - jeder Morgen, an dem der Morgenstern aufgeht und den Sonnenaufgang verkündet, jeder neue Tag, der aus der Nacht geboren wird, das Werden und Vergehen des Lichts, - in ganz besonderer Weise der abnehmende Mond, der als nur noch in weißgrauer Asche dunkel schimmernder Neumond doch wieder aufersteht und von neuem strahlender Vollmond wird, - das alles deutet das Geheimnis wunderbaren Sieges, welchen das Licht über die Finsternis, also das Gute über das Böse, erringt.

Die von Zarathustra bis heute erhaltenen Worte (hier nach der Übersetzung von Paul Eberhardt angeführt, Vgl. jedoch Alfred Jeremias: Die ausserchristliche Erlösererwartung) geben hier deutlichste Wegweisung: „Gott wirkt Geist, Geist gibt Wahrheit, Wahrheit gibt Freiheit, Freiheit gibt Gläubigkeit.“

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‚Ich will mit euch sein!‘ spricht Gott. Und dort seid ihr, aus Selbstsucht geboren, Geister des Bösen und deren Propheten, und du erster unter ihnen: gleißende Lüge! Danach sind eure Taten! In allen Zonen der Erde weiß man davon. Eure Macht habt ihr, weil ihr den Menschen schmeichelt und sie einwiegt im Angenehmen, so werden sie müde der Arbeit an sich selbst und taumeln fort von Gott und seiner Pflicht. Leben nennt ihr dies?! Der Tod ist es eines wahrhaftigen Lebens. Um die Ewigkeit bringt ihr sie durch eure Zeitlichkeit. Doch das Böse will es so, es will Vernichtung. Auf tausend Wegen schleicht es, du allein, Gott, kennst sie alle. Das Bessere und das Bösere wird enden; dann wird sich zeigen, was gut war. Auch der Weiseste unter uns kann nicht richten. – Gott allein weiß, was richtig ist. Ich weiß nur, dass bei den Lehren jener etwas erdrückt wird in meinem Herzen, dass die Sehnsucht zum Guten langsam erstickt wird, und dass ich schreie nach Erlösung. Darum nenne ich einen Irrlehrer, wer zu Schanden macht, was mir das Tiefste ist, wer mir meine Erde verdirbt und mir den Blick zum Himmel wehrt, wer die Klugen nur schlau macht, sie nur irdischen Vorteil lehrt und den niederschlägt, der mehr will als dies. Sie selbst leben aber von der Armut der Anderen, indem sie Menschen um ihren Lohn bringen und durch ihr Tun immer neue dazu verführen. Sprachen nicht alle Propheten aus solch bedrängten Herzen wie ich, loderte nicht in ihnen derselbe Zorn gegen die Rotte, welche die allen offene Erde mit Satzungen und Rechtsprüchen verwehrte, wie durch einen Zauber, den anderen verwehrte? – Macht uns die Erde wieder frei, ein Opfer ist sie jetzt für Rasende. Pfaff und Adel engen das Leben ein, aber mit dem Leben werden wir siegen. Denn unser Leben ist mehr als Essen und Trinken: Gerechtigkeit ist es, und diese geht durch Himmel und Erde. Von Gott holen wir uns unsere Kraft, wer will wider uns sein? Herr, gib mir Stärke in meinem Streben, und verlasse mich nicht! Du weißt, nur weil ich die Menschen liebe, rufe ich so.“

„Doch sieh, nun erhebt sich ein Gewirr von Stimmen, ein Durcheinander ertönt! Die einen gedenken der Treue an dich und hängen dir an und rufen dir zu; die anderen vergessen, was du gegeben und verlassen dich

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und rufen Verrat. Zu denen aber, die noch schwankend sind, da geht von einem zum anderen verschwiegen redend das Denken. – Aber, Herr, ach ich bin mitten darin, darum frage ich dich: Wie ist es damit jetzt und für die Zukunft? Steht, was Gutes getan wird und was im Bösen geschieht, wie in einem Buch für eine letzte Abrechnung? Das frage ich dich, wie wird es nicht vergessen, dass man dem Schlechten zur Gewalt hilft, dass sie sich nähren vom Raube an Menschen, Tier und Land? Das frage ich dich, ob überhaupt im Guten eine Möglichkeit des Wirkens liegt, ob in der Welt nicht doch nur die Klugheit gilt? Ja, o mein Gott, kommt man nicht so allein oft nur zum Ziel, dass ich im Anblick der Welt oft schreien möchte: ist denn wirklich bei all dieser Lüge die Wahrheit das Bessere, und muss ich nicht einstimmen in ihr Heulen? Gott, verlasse mich nicht, mache mich stark in dieser Anfechtung! Gib mit Kraft! Nieder mit dir, du bäumender Gedanke, mit dem Schwert an deine Kehlen! Denn seht doch hin, kommt dabei innerer Frieden über Haus und Gemeinde, Vaterland und Welt? Heilt man das tiefste Leben mit der Sucht nach Äußerem? Nur wer weiß, aus welcher Quelle das Leben kam, reicht sich vom ewigen Bronnen, und nur sein Trost ist wahres Erquicken. Einst sprühten die Funken, aber es wird wieder eine Flamme werden. Das Bessere und das Böse: zwei Hölzer, die sich reiben, aber das Feuer ist gut, nur gut. Tritt nur hierhin oder dorthin, sei Rauch oder Flamme, sei niedergedrückt, erstickend im Qualm, oder lass dich lodernd emporsteigen. Dort bis du! Dein ist die Wahl! Aber wisse, dass du nicht wählst zwischen Gott und dem Bösen. Wenn du noch wählen müsstest, weißt du noch gar nichts von ihm, denn Gott ist höher und tiefer - er gibt beständig: im Gefühl – eine nimmer vergehende Welt, der Wahrheit sicheren Frieden, den Frieden seines Geistes.“

Wer versucht, diesen uralten Worten zu folgen, der wird es spüren, welch ein gewaltiger Kampf hier zum Ausdruck gekommen ist, und wie hier jede oberflächliche Scheidung und Unterscheidung zwischen den Menschen unmöglich wird. Es gibt viele Menschen, die der Meinung sind, auf der einen Seite stünden in diesem Kampf die religiösen

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Menschen, die Idealisten und Frommen, und auf der anderen Seite wären die materialistischen, die auf das Äußere gerichteten Menschen zu finden. Und ganz gewiss hat diese vorläufige Einteilung der Menschheit einen gewissen menschlich psychologischen Sinn; aber sie geht der Sache nicht auf den Grund. Sie geht letztlich an der Sache vorbei. Der große Kampf, um den es sich handelt, ist vielmehr ein Kampf, der sich in dem Herzen eines jeden materialistischen und eines jeden idealistischen oder gläubigen Menschen abspielt; es ist ein Kampf, der sich in der Menschheit und im Menschen selbst abspielt, ohne dass wir sagen könnten, auf der einen Seite seien die Guten und auf der anderen Seite die Schlechten zu finden. Und es ist nicht wahr, dass das religiöse Leben gut und das materialistische Leben schlecht sei; sondern es gilt vielmehr, nachzuspüren und zu erkennen, wo das materialistische Denken seinen Glauben hat und wo das religiöse Leben seinen Gott findet, wo beides seinen Geist hat, wohin sich seine Verehrung richtet.

Es gibt, für das Religiöse wie für das Atheistische einen Anti-Gott, den wir als unseren Gott verehren können. Die Zeit der ersten Christen war von der Überzeugung durchdrungen, dass es in der Welt einen Gott gibt, der nicht der Gott Jesu Christi ist. Es gibt einen Gott der gottlosen Weltreligion im Gegensatz zu dem Leben, das Jesus führte, einen Gott der jetzigen Weltzeit, im Gegensatz zur Zukunft Gottes und seiner Ewigkeit. Sein Wesen ist Arbeit ohne Seele, Geschäft ohne Liebe, Maschine ohne verbindenden Geist, Besitzgier ohne gegenseitige Hilfe, Lust statt Freude, Vernichtung der Concurrenten, Täuschung und Blendung in der Vergötzung des Eigentums! Dieser Gott ist kein Gott des Guten! Es ist nicht der Gott der Liebe! Er ist kein Gott der Gemeinschaft! Er ist nicht der Gott der Zukunft, nicht der Vater Jesu, nicht der, der die kommende Ordnung der Gerechtigkeit bringt. Sondern er ist ein Zwischengott der jetzigen Geschichtszeit. Er ist kein Gott der Höhe und des Lichtes. Sondern er ist ein Gott des Abgrunds, ein Geist der Finsternis. Er ist ein Unhold ungeheurer Macht: einer, der alles verdirbt, einer, der den Tod bringt, einer, der

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die Gewalt des Bösen verkörpert. Dieser gewaltige Dämon unserer Zeit darf nicht einfach mit dem Aberglauben gleichgesetzt werden. Auch dieser gehört zu seinem Wesen. Aber er erschöpft sich in ihm nicht. Er schließt die Abergläubischkeit an die Macht der Zahlen und der Tage, der Angstvorstellungen und der äußeren Dinge, an die Eigengewalt und Eigengesetzlichkeit und Dämonie aller vereinzelten an und für sich genommenen Lebensgebiete und Machtgeltungen in sich. Aber sein Einfluss reicht weit über diese Sphären hinaus. Dieser gottwidrige Geist bestimmt nicht nur jene abergläubische Vorstellung, in der Soldaten ein Amulett auf der Brust tragen, um beim Morden nicht selbst gemordet zu werden; er trägt nicht nur ganz bestimmte Besprechungsformeln, mit denen man böse Geister beschwört, während man selbst von diesen Geistern besessen ist. Sondern dieser Abgrund, dieses Dämonische, dieses Satanische, dieses Böse ist am religiösesten Platz wirksam, wo es gern die frömmste Maske trägt.

So lesen wir in den Schriften des Urchristentums, dass ein Gott dieser Weltzeit denen, die nicht glauben können, denen, die zugrunde gehen, den Sinn verblendet hat, dass er ihnen das Auge verdorben hat, sodass sie nicht mehr imstande sind, die Hauptsache zu sehen, die Nachricht der Zukunft, die Nachricht der Befreiung, die Nachricht der kommenden Menschheitseinheit, die Nachricht des kommenden Gottes zu fassen. Der Geist dieser Weltzeit ist ein Geist, der nicht von Gott ist, und deshalb die Reinheit und Wahrheit seiner Zukunft nicht sehen kann. Er kann die Tiefe Gottes nicht erkennen und ist doch ein Geist, der in die Tiefe eindringen will und die Tiefen verstehen will. Ihm geht es um die Tiefen Satans, um das Wissen des Bösen aus wirklicher Erfahrung, um die Freundschaft mit dem Tod und seinen Waffen, um die Ergründung aller Laster und Leidenschaften. Als tötlicher Geist lähmender Berauschung und Suggestion bringt er ohne Stärkung wahrer Kraft nur deren Illusion. Er ist ein Geist, der Schwachheit mit sich bringt, ein Geist, dessen Kraft Schwächung bedeutet. Jesus legte seine Hand einmal auf eine Frau, die unter einem solchen Nervenleiden litt, dass ihr Körper gekrümmt und ihr Leben aufs Äußerste geschwächt

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war. Jesus sagte von dieser Frau, der Satan hat sie gebunden, sie muss von einer Fessel gelöst werden.

Geist der Schwäche, Geist des Todes, Geist der Zertrümmerung, Geist des Mordes ist dieser Geist der Finsternis. Wir alle kennen die Wirkungen dieses Geistes aus eigener Erfahrung. Gerade wer Lösung und Befreiung von ihm erlebt, wird umso tiefer inne, welcher tötlichen Atmosphäre er entrinnt. Deshalb sagt die urchristliche Schrift von diesem früheren, vorherigen Dasein der nun Befreiten und lebendig Gewordenen: Wir waren tot in unseren Verfehlungen nach der Lebensart dieser Weltzeit, nach dem Fürsten, der in unserer Atmosphäre die Gewalt hat, nach dem Geist, der in den Menschen des Ungehorsams seine Wirksamkeit entfaltet. Wie machtvoll bestimmend die Atmosphäre dieses Geistes uns alle in ihrem Bann hält, beginnen wir erst zu ahnen, wenn der Bann sich bereits zu lösen beginnt.

Es ist ein überaus mächtiger Geist, zu dem wir alle in so enger und fester Beziehung stehen, dass wir zu einer klaren Beurteilung seines gefährlichen Wesens unfähig werden. Es fehlt uns der Abstand, der zur deutlichen Schau und Wertung seines Charakters erforderlich wäre. Deshalb bedürfen wir der Führung durch einen überlegenen reinen Geist der Wahrheit, um das Wesen dieses unseres Zeitgeistes an bestimmten Merkmalen erkennen zu können. Als Geist der Mode, nicht nur der Mode des Augenblicks, – sondern vielmehr als Mode-Geist und Art-Geist des gesamten Zeitalters, in dem wir alle von Geburt an stehen, kann dieser Geist erst dann völlig entlarvt und überwunden sein, wenn eine neue Zeit, eine kommende Weltperiode ihn als den Tod aller Zeiten abtun wird.

Aber schon ist der Stern des kommenden Weltentages aufgeleuchtet: Jesus hat gegen diesen Geist den Krieg eröffnet. Jesus konnte es als der Führer des Kommenden. Schon Zarathustra, der alte Perser, und tiefer und klarer die Propheten der vorchristlichen Judenzeit haben diesen gewaltigen Kampf, den Jesus eröffnen sollte, vorausgesagt. Schon sie hatten jenen glühenden Optimismus, den sie in allen Farben des Glaubens gemalt haben, welche strahlende

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Zukunft dieser Sieg des Guten über das Böse bedeutet. Der Sieg setzt den Kampf, setzt die Klarheit der gegeneinander aufgestellten Fronten voraus: Eben in diesem Sinne dieses Kampfes und in der Gewissheit dieses Sieges sagte Jesus: „Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen.“

Wir würden des Wort „Gott Mammon“ nicht verstehen können, wenn wir nicht auch die anderen Bezeichnungen kennen würden, in denen Jesus das Wesen dieses Geistes entlarvt. Er nennt ihn zugleich den Mörder von Anfang; er nennt ihn den Vater der Lüge, und er bezeichnet seine Geister als die unreinen Geister. Wieder geht es bei Jesus wie einst bei Zarathustra um Wahrheit, Reinheit und Liebe. Dieser Dreieinheit steht jener Geist entgegen. Mammonismus ist das Wesen dieses Geistes. Mord ist sein Treiben, Lüge ist sein Charakter, und Unreinheit ist sein Gesicht. Diese seine Züge sind für Moralisten vier ganz verschiedene Dinge, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, aber für alle, die in die Tiefe sehen, ist zwischen diesen vier Dingen letztlich kein Unterschied. Der Mammonismus ist begehrlicher Wille, der besitzen, festhalten und genießen will. Der unreine und mörderische Geist ist der begehrliche Wille, der durch Besitz und durch Genuss, für den Besitz und für den Genuss das Leben anderer verderben will. Er tut dies einmal durch das Suggerieren der Meinung, dass dieses andere Leben dem eigenen Besitz oder Genuss hinderlich ist, oder aber anders, durch Erzeugung des Lustrausches, dass in dem Verderben des anderen Lebens für den besitzergreifenden Genießer Besitz und Genuss als Lebenssteigerung gewonnen wird. So wird man zum zwiefachen Mörder aus demselben begehrlichen Willen, der den Mammon regiert. Und die Lüge, diese Haltlosigkeit des Charakters, diese Täuschung eines mit sich selbst uneinigen Lebens, ist die Konsequenz desselben begehrlichen Willens.

Denn wir können mit dem begehrlichen Willen nichts in Gemeinschaft bringen. Wir müssen aber in Gemeinschaft leben, weil wir auf das Zusammensein mit anderen angewiesen sind, solange wir dem Leben ge-

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hören wollen. Sind wir besessen von dem begehrlichen mörderischen Geist des Mammonismus und der ungezügelten Geschlechtsgier, so müssen wir lügen, so oft wir mit Menschen zusammen kommen. Wir müssen Lügen im Geschäft; denn wir müssen uns bemühen, die Begehrlichkeit unseres Mammonismus, den Eigennutz unserer Bestrebungen, die Verdinglichung unserer Menschheitsbeziehungen zu verbergen; wir sind genötigt, uns anders zu geben, als wir sind; denn einem Raubtier der Geldgier würde kein Mitmensch die Hand reichen wollen. Mit einer Hyäne, die von den Leichen anderer lebt, würde keiner zu tun haben wollen; also muss der schmutzige Wolf die weiße Wolle des Lammkleides anziehen, es muss die verschlagene Hyäne das unschuldige Schafsgesicht des Biedermannes vorbinden; es muss der Schlaue sich harmlos stellen, es muss jeder Geschäftstrick so unschuldig wie möglich beigebracht werden. So muss denn auch in allen großen Kriegen aller groβer Völker, in allen großen Revolutionen aller Klassenkämpfe die Lüge herhalten; denn es ist unmöglich, dass mit Waffen der Wahrheit, mit Waffen der Klarheit Begehrlichkeit und Eigennutz verteidigt oder zum Siege gebracht werden können. Nichts beweist klarer, wie unumgänglich Vertrauen und Uneigennützigkeit, wie unbedingt erforderlich hingegebener Gemeinschaftswille für jede Lebensbetätigung ist, als diese verlogene Sachlage. Wenigstens die Täuschung ethischer Gemeinschaftsmotive, - in Wahrheit in der Regel in ungeklärter schmutziger Mischung dieser stets wenn auch noch so schwachen guten Antriebe mit rein egoistischem Macht-Begehren und Genuss-Willen -, muss hervorgekehrt werden, wenn man sich am Leben erhalten will. So nur erklärt sich der so „reel“ erscheinende Geschäftsmann, der die Konkurrenz vernichtet und die Kundschaft benachteiligt; so die hochmoralische Motivierung aller zerstörenden Kriege und Bürgerkriege, ja aller rücksichtslosen, die anderen Nationen möglichst verdrängenden und schädigenden Staatsmaßnahmen; so die wohlwollende Ausnutzung und aushungernde Unterdrückung der Arbeitnehmer durch die Arbeitgeber. Den Durchblickenden ist diese Lüge der klarste Bewies für die Wahrheit, die sie vortäuscht.

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Dieselbe Lage der Dinge finden wir bei den unreinen Geistern, die überall aus der Tiefe des begehrlichen Abgrundes aufsteigen. Unreinheit ist in ihrer Lügenhaftigkeit unrein. Untreue im Geschlechtsverhältnis ist der tiefste und gemeinste Betrug, der ausgedacht werden kann. Sie ist der Mord der Seele durch Täuschung und Betrügerei. Nirgends wird so viel gelogen wie in der „Liebe“, solange sie wahre Liebe vortäuscht um ungehemmt genießen, missbrauchen und verderben zu können. So ist denn klar, dass diese scheinbar verschiedenen Bezeichnungen des Mammons, der Lüge, des Mordes und der Unreinheit ein und denselben Geist, einen und denselben „Gott“ enthüllen.

Wenn wir das erkannt haben und uns nun in der Wirklichkeit umsehen, so müssen wir immer von neuem erstaunen, welch ungeheure Macht dieser Gott in der großen Welt besitzt. Wir werden immer tiefer vor dem Wort erschrecken, mit dem Jesus uns zum Kampf aufruft, „Niemand kann zwei Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Das bedeutet viel: „Sammelt auch kein Vermögen auf der Erde!“ „Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen, und komm, gehe den ganz anderen Weg mit mir.“ „Wehe Euch Reichen, wehe Euch, die Ihr voll seid: Selig ihr Armen. Werbet euch Freunde durch den ungerechten Mammon.“ Gewinnet Freundschaft der Herzen, indem ihr alles wegschenkt und hingebt, was ihr an Mammonsgütern besitzen könntet! Geht den neuen Weg, den Weg der Gemeinschaft vom Geist aus! Geht hinein in die Gemeinschaft der Menschen! Sucht die Einheit, die von Gott durch die Seele hindurch bis in die materialistischen Dinge hineingreift. Weg vom Mammon, hin zu Gott!

Wenn man das Wort „Mammon“ hört, so denkt man zunächst einfach an das Geld. Und in der Tat ist das Geld, das greifbare Geld, das man in die Hand nehmen kann, das kennzeichnendste Symbol für den Mammonismus. Mammon heißt zunächst Reichtum und bedeutet Wertschätzung des Geldes, die Verdinglichung der Beziehungen der Menschen. Alle Menschen stehen in gegenseitiger Beziehung zueinander. Das Kind ist von seiner Mutter geboren und wird durch Vater, Mutter und Geschwister ins Leben geleitet. Es wächst in der Schule, als in der Kameradschaft seiner Altersgenossen auf. Es tritt heranwachsend in die Arbeitsgemeinschaft mit Arbeitskollegen. Der junge Mensch gewinnt einen immer weiteren Überblick und Umblick,

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worin die Verpflichtungen seines Lebens bestehen, wie er nämlich in der Gemeinsamkeit des Dienstes mit anderen Menschen das gemeinsame Leben aufbauen kann. Die Liebe tritt in das Leben des jungen Menschen ein. Im Erleben einer großen Freude, eines großen Glückes werden zwei Menschen eins für die Treue der Lebens- und Güter-Gemeinschaft, und das gewaltige Sein und Werden des gemeinsamen Lebens spielt sich von ihnen aus von neuem wieder ebenso ab wie vorhin. Und wie es im Leben des Einzelnen der Fall ist, so ist es auch im Leben großer Gesamtheiten, der großen Völker, der großen Klassenverbände, der großen Gesellschaftseinheiten; Nichts ist für sich allein da. Keine Zeit, kein Jahrhundert, auch kein Augenblick steht für sich allein: Alles steht in Beziehung zu anderem; je lebendiger die Beziehungen sind, umso erfüllter und reicher ist das Leben.

Wohl kann diese Beziehung auch eine Beziehung der Gegensätzlichkeit, auch eine Beziehung des Kampfes sein; auch der Kampf ist eine lebendige Beziehung. Der ehrliche Gegner ist oft der beste Freund. Im offenen, klaren Kampf kommen wir oft einander von Herzen näher als in unentschiedener, äußerlicher, flüchtiger Berührung. „Liebet eure Feinde“ ist nicht nur ein Satz ungeheuerlicher Forderung; er ist zugleich kraftvolle Umschließung und freudige Bejahung des nächsten und persönlichsten Lebens. Außer meinen Freunden sind meine Feinde die nächsten Menschen, mit denen ich mich gedanklich und sachlich, und vor allem im Gefühlsleben am häufigsten auseinandersetzen muss. So sind die Feinde nicht weniger als die Freunde diejenigen Menschen, an denen ich die Stärke meines inneren Gefühls zu erweisen habe. Sie können mir nicht gleichgültig sein; ich muss mich mit ihnen aufs intensivste beschäftigen. Wenn ich dies unvermeidlich tun muss, so geht es hier um die Frage, in welchem Geist diese intensive Anteilnahme die kräftigste und fruchtbarste sein wird, welches die tiefste Beschäftigung, die stärkste und lebendigste Beziehung sein wird, die ich zu ihnen gewinnen muss. Die beste und eigentlich einzig mögliche Beziehung aber ist, dass ich liebe. Nur so wird die Beziehung zu meinen Feinden für mein Leben fruchtbar sein. „Wenn ich hasse, so nehme ich mir etwas. Wenn ich aber liebe, so werde ich reicher um das, was ich liebe“ [Schiller]

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Alles ist Beziehung und Gegenseitigkeit. Alles ist ewiges Empfangen und Geben, ewiges ewiges Handreichen, ein immer erneut einander in die Hand Arbeiten. So sind denn die Menschen zu einer Gemeinschaft des Gefühls und zu einer Gemeinschaft der Arbeit bestimmt, die bleibend werden muss, zur Gemeinschaft des Fühlens und Wollens, zur Gemeinschaft des Wissens und Schaffens, zur Gemeinschaft des Glaubens und Hoffens, zur Gemeinschaft von Herz zu Herz. Sie sind berufen zur Gemeinschaft des Lebens.

Aber das Geld ist da als die stärkste Großmacht der jetzigen Weltordnung, das Geld, das diese Gemeinschaft zurückdrängt und verhindert. Alles, was sonst unter den Menschen lebendiger Austausch und hingebende Leistung ist, was sonst gegenseitige Hilfe ist, wird hier in ein Stück Münze, in ein Blatt Papier verdinglicht. Die Erfindung des Geldes an sich ist nicht das Böse, sondern die Tatsache, dass im Geist des Menschen und so im Verkehr der Menschen untereinander dieser Staub des Geldes das Lebendige der Beziehungen verschluckt, das ist das Böse. Dass wir in unserem Leben untereinander geldliche Beziehungen haben, die keine persönlichen Beziehungen mehr sind, die keine Gemeinschaft des Glaubens und des Lebens mehr sind, das ist das Satanische am Geld.

Wir beobachten in unserer Kultur Verhältnisse, dass Menschen einander kaufen und bezahlen, dass Menschenkraft von Menschen bezahlt und verbraucht wird. Gemeinschaft besteht zwischen diesen Menschen nicht. Die Menschen werden durch das Geld nicht mehr als Menschen, sondern wie Dinge gewertet und behandelt. So kann man sich nicht wundern, dass im Verkehr der Dinge die Beziehung zwischen den Menschen, die sie herstellen und vertreiben und denen, die sie in Empfang nehmen und verbrauchen, erst recht keine lebendige Beziehung aufkommt. Man nimmt Dinge in Empfang, die man bezahlt, ohne nach den Menschen zu fragen, die sie gemacht haben, oder nach denen, die sie verkaufen. Und in dem Geld, womit man bezahlt, steckt ebenso Arbeit und Leistung, Arbeit, die der bezahlende Mensch geleistet hat oder die ein anderer für ihn geleistet hat, den er vielleicht wieder nicht kennt und nicht achtet. Die Gegenseitigkeit der Arbeit und der durch sie geleisteten Hilfe verschwindet durch das Geld aus dem Bewusstsein der Menschen; anstatt dessen tritt in unsere gegenseitige Beziehung eine

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Verdinglichung, eine Bannung des Gemeinschaftsgeistes in eine Sache, die nicht Gemeinschaft, sondern ihr Gegenteil bedeutet. So kommt es denn zu der seelentötenden Gewohnheit, dass wir kaufen oder für Ware und Arbeit Geld in Empfang nahmen, dass wir „Arbeit“ einstellen und bezahlen, ohne dass zwischen Empfänger und Geber Gemeinschaft besteht.

Wenn das so ist, sind wir dem Mammon, den Satan verfallen. Alle diese Geschäfts-Beziehungen und Arbeits-Beziehungen, die völlig entgeistet und entpersönlicht auf das Geldverhältnis, wesentlich und hauptsächlich auf das Geldverhältnis aufgebaut sind, sind Mammonismus. Wir sehen darin eine ungeheuerliche schauerliche Entwicklung unserer gegenwärtigen Zivilisation. Heute ist es für einen großen Arbeitgeber in einer Riesenfabrik etwas schier Unmögliches, zu allen den Arbeitern, zu denen er in einem ganz bestimmten, durch Geld ausdrückbaren Arbeitsverhältnis steht, Beziehungen zu halten, diese Beziehungen wirklich im Herzen zu tragen! Am unmöglichsten wird das in einer A.-G. [Aktiengesellschaft] unter den Aktionären, wo tatsächlich die Beziehungen des Geldgebers zu den wirklich arbeitenden Menschen ganz ausgeschaltet ist, wo die Aktionärsssitzung, die Generalversammlung, der Aufsichtsrat und das Direktorium zwischen dem Geldgeber und dem Arbeiter eingeschoben sind. Verantwortlich, in persönlicher Beziehung verantwortlich für das, was an dem Arbeiter geschieht, ist niemand. Der Aktionär oder die Aktionäre können ja immer auf das Direktorium und den Aufsichtsrat verweisen, und der Aufsichtsrat und das Direktorium können immer darauf verweisen, dass sie den Geldgebern Rechenschaft abzulegen haben. Die arbeitende Menge kann keinen Weg finden, wie sie mit ihrer Arbeit ein Verhältnis zum Arbeitgeber gewinnen könnte. Alles ist in die unerreichbare A.G. und ihre praktische Rentabilität verschoben.

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Hier muss die Entseelung des modernen Großbetriebes in ihrer Wurzel erkannt werden. Am deutlichsten zeigt das Rechnungssystem, in dem die Geld-Buchhaltung und die Lohn-Statistik entscheidend ist, dass nur das Geld als Zahl, und so auch der arbeitende Mensch nur als Lohn-Zahl und Rentabilitäts-Zahl Geltung hat. Das Persönliche und Gemeinschaft Bildende ist aus dem Produktions-Ablauf ausgeschaltet. Das System der Maschine als solches zeigt dieselbe Situation: die Seele wird beim Steck-Automaten abgegeben. Sie wird in die Fabrik nicht hineingelassen. Der Arbeiter bekommt aus dem Automaten dafür seine Nummer und hat als Teil der ungeheuren Maschine zu funktionieren. Durch Maschinen und Apparate wird seine Arbeit kontrolliert und so der Produktions-Ablauf zwangsläufig festgelegt. In dieser seelenmörderischen Versklavung unter die tote Maschine als unter die automatisch gesicherte Rentabilität der Geld-Anlage hat der viel bewunderte Henry Ford das Äußerste geleistet. Dieser Groß-Kapitalist hat die Entseelung der Arbeit von jeder gedanklichen und handwerklichen Leistung so weit gebracht, dass in seinen Fabriken 79% aller Arbeiten von gänzlich ungelernten Arbeitern ausgeführt werden können, wobei 43% dieser Produktion nur einen Tag, 36% 8 Tage Anlernzeit brauchen. Also nur 21% der Arbeiter, Handwerker und Werkführer dürfen in diese hochberühmten Ford’schen Automobile ein wenig Überlegung und handwerkliche Leistung hineinlegen. Die große Masse der 79% sind für ihre gesamte Arbeitszeit zu dem Zuchthaus verurteilt, als seelenlose Sklaven dem Geldprofit des Unternehmers und der Fristung ihrer eigenen Existenz dahingeopfert zu werden. Ein anderer berühmter Amerikaner erdachte für die verbreitetste Methode der Arbeiter- und Angestellten-Entseelung das nach ihm benannte Taylor-System, in dem die gesamte Arbeits-Verwaltung durch genaueste Vorschriften und Normen so sorgfältig und straff zur Erzielung des höchsten Geldprofits geregelt ist, dass durch dieses feste Netz auch nicht die geringste persönliche oder seelische Regung freier Entschlüsse während der aufs schärfste kontrollierten Arbeitsstunden

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hindurchschlüpfen kann.

Jeder, der über diese Frage nachdenkt, kann auf allen Gebieten hunderte und tausende anderer Beispiele finden, wie das Geld und sein Profit mehr und mehr die Seele tötet und die Gemeinschaft der Arbeit unmöglich macht. In den verschiedensten Tatsachen werden wir die Wirklichkeit erkennen, dass das Geld, das zunächst als Tauschmittel eine harmlose Erleichterung des gegenseitigen Eintauschens von Arbeitsleistung und Arbeitsergebnis bedeuten sollte, zum fluchbeladenen Mammon geworden ist. Als besitzgieriges Festhalten von Geld, als das die Seele entwertende Einschätzen der Dinge nach Geld und als jene veräußerlichende und verdinglichende Umgestaltung aller Menschheitsbeziehungen in Geld, als das Geld, wodurch die Geisteseinheit und die Seelengemeinschaft der Menschen verhindert und zerstört wird, ist der Mammon zum alles in diesem Symbol des Geldes bezwingenden Machtfaktor geworden. Deshalb ist immer wieder und besonders in der heutigen großkapitalistischen Zeit das Gegensymbol der freiwilligen Armut und völligen Geldlosigkeit eines Franz von Assisi vonnöten. Man sieht gerade an dem allgemeinen Entsetzen über solche Menschen, die aus der Liebe und Freiheit heraus, kein Geld mehr berühren, wie notwendig dieser symbolische Schritt in das wirtschaftlich „Unmögliche“ zur Zerstörung der allmächtigen Geld-Illusion des Mammonismus ist. Aber freilich bleibt auf beiden Seiten das Geld wie die Geldlosigkeit nur ein – wenn auch übermächtiges – Symbol für das Eigentliche und Wesentliche, das hinter beiden steht. Gott Mammon ist nicht einfach dasselbe wie Geld oder Privateigentum, obgleich der Geist dieses überwindet, und der Gott des kommenden Reiches der Liebe wird nicht einfach durch Geldlosigkeit oder Gemein-Eigentum gefunden, obgleich er auch diese herbeiführen wird. Es gibt ebenso einen kommunistischen wie einen kapitalistischen Mammonismus. Für viele Besitzlose gilt die Notwendigkeit zu essen, die Kleidung und Wohnung, alles Wirtschaftliche überhaupt, das Ökonomische, als die einzige Triebfeder der Geschichte, als die einzige Triebkraft der Menschen untereinander. Daher müssen im Kampf ums Dasein der Klassenkampf der Besitzlosen gegen den Besitz zum Austrag kommen und alles, was wir leben, sei nur das materielle Leben, das aus dieser

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Triebkraft des Existenzwillens, aus dem Selbsterhaltungstreib und aus dem Fortpflanzungstrieb von selbst hervorgehe.

Eine solche Ausfassung ist wieder Mammonismus. Denn wenn wir nur auf das notwendige Essen und Kleiden und Wohnen und Körper-Besitzen unsere gegenseitigen Beziehungen aufbauen, gründen wir ja diese Beziehungen wiederum auf Verdinglichung des Geistes. Aber dennoch lebt in dem Protest, der vom Marxismus ausgegangen ist, eine große, tiefe Wahrheit. Denn das, was letzen Grundes die sozialdemokratische Bewegung gemeint hat, ist nicht die ökonomische Geschichtsauffassung, nicht der Materialismus, nicht die Idee vom Mehrwert, und nicht der automatische Übergang durch die Trusts zur sozialistischen Staatswirtschaft und ebenso wenig die Idee der Gemeinwirtschaft als solche. Sondern, was letzten Grundes diese Bewegung bewirkt, ist der Glaube an eine Zukunft der Gerechtigkeit, der Glaube an einen Sieg des Lichts, der Glaube an eine Gemeinschaft der Menschen, die sich auch auf die Güter, weil auf schlechthin alles erstrecken muss. Hinter diesem Materialismus steckt letztlich ein Aufstand des Geistes im Namen der Materie, ein Generalangriff gegen den Mammonismus der Geistigen, die den Geist im Munde führen und das Materielle wollen.

Und umgekehrt kann in besitzenden Kreisen die Verdinglichung der Geld-Beziehungen durch eine vielleicht patriarchalische – besser brüderliche – Herzens-Einheit in gerechter gemeinnütziger Verwaltung überwunden werden. Wenn wir das fühlen, dass auch in den kapitalistischen Kreisen und auch in der materialistischen Bewegung der Sozialdemokratie derselbe Glaube an eine letzte Zukunft der Gerechtigkeit lebendig sein kann, nämlich in dem Herzen, das die Liebe will und die Gerechtigkeit als Zukunft glaubt, dann werden wir mit dem persischen Zarathustra davon überzeugt sein können, dass es eine Kraft des Guten gibt, die immer und überall stärker ist, als die Gewalt des Mammonismus. Dieser Glaube erscheint in unserer Welt als unmöglich. Gerade das erschüttert an den Versen des Zarathustra am tiefsten, dass auch in ihm der Zweifel aufgetaucht ist, ob denn nicht in dieser Welt schließlich doch das Böse und seine Schlauheit den Ausschlag gibt. Aber er dringt wieder und wieder zu dem Glauben durch: nein, letztlich muss der Geist siegen, der die größte Kraft hat. Die größte Kraft ist das Licht, das Licht als Wahrheit und Reinheit und tätige

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Hingabe. Die größte Kraft ist die Liebe. Das ist die prophetische Hoffnung auch des Urchristentums und des Alten Testamentes: die prophetische Gewissheit der Liebe. Gott ist die schöpferisch tätige Kraft. Gott ist der Geist. Gott ist die Liebe. Gott ist die Wahrheit und Klarheit. Dieser Gott ist der Gott der Zukunft. Er hat ein Ziel auf dieser Erde, und dieses Ziel bedeutet Gerechtigkeit und Friede, die Überwindung des Mammonismus, dieses Geistes der Lüge, des Mordes und der Unreinheit. Die Zukunft Gottes ist der Sieg der Wahrheit und Reinheit, ist der Sieg des schöpferischen Geistes der Gerechtigkeit und Liebe über den ungerechten Mammon.

Jesus hat den Kampf gegen diesen Mammons-Geist aufgenommen, in dem bestimmten Glauben, dass er der Sieger ist, der diesen gewaltigen dunklen Geist überwinden wird. Nur muss man hier das alte Missverständnis beseitigen, Jesus habe ein rein jenseitiges Reich verkündigt, er habe gemeint, einst solle im Himmel alles gut sein, was auf der Erde immer schlecht ist und bleibt. Dann müssten wir Menschen des Jenseits werden, die ihre Todesstunde mehr als alles andere ersehnen, Menschen, die wie die Trappistenmönche sich täglich in den Sarg legen, um so ganz auf das Sterben gerichtet zu sein. Dieses Sterben wäre dann die eigentliche Erlösung des Menschen. Dann würde der Tod uns als Erlöser seinen letzten Kuss geben und würde uns so von den Fesseln dieses schmählichen Daseins befreien; wir würden durch den Tod aus dieser verfluchten Körperlichkeit und Scheinwirklichkeit hinausgehoben werden, hinein in ein Paradies der Geister und seiner reinen, unkörperlichen Freuden. Was schon im Anfang für Zarathustra gesagt werden musste, muss noch stärker für Jesus bezeugt werden: die große Scheidung zwischen Gott und Teufel ist nicht die Scheidung zwischen Diesseits und Jenseits, nicht die zwischen Stoff und Geist, nicht die zwischen Körperlichkeit und Unkörperlichkeit, sondern sie ist vielmehr eine Scheidung, die mitten durch alle Geister und durch alle Körper hindurchgeht, durch alle Ewigkeiten und durch alle Zeiten. In jedem Haus sind beide Geister in ganzer Kraft wirksam. In jedem Körper, in jedem Menschen, sind beide Gewalten am Werk und in jeder Zeit, in jedem geschichtlichen Augenblick, so auch in dem unseren,

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sind beide Mächte wirksam. Die entscheidende Frage ist allein die, wie in jedem Menschen, in jedem Zeitpunkt und in jedem Körper, so auf dem ganzen Planeten Erde, der Geist, der alleinige Geist des Lebens zur Herrschaft kommt, wie also der Mammon als der jetzt herrschende Erdgeist des begehrlichen Willens und seiner Ungerechtigkeit überwunden und ausgeschaltet wird.

Mammonismus zerstört die Gemeinschaft des Lebens. Er ist der Feind des Lebens; er ist der Tod. Der Kuss des Todes ist nicht der Kuss des Erlösers. Er ist der Pesthauch des Zerstörers; der Tod ist der letzte Feind, der überwunden werden soll. Er ist nicht unser geliebter Bruder, den wir umarmen, weil wir ihm gut sind. Der Tod ist der Feind, der unter unseren Füßen zertreten werden muss. Alles, was zum Tode führt, alles, was aus dem Dasein, aus den lebendigen Beziehungen seiner Hingabe-Gemeinschaft heraus drängt, alles, was Gesundheit und Schönheit des Lebens zerstört, ist vom Teufel. Brüder, habt die Erde lieb. Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt nicht jenen Verführern, die nach einem Jenseits schielen werden, um das Diesseits zu verdächtigen.

Jesus ist der größte Freund der Erde, der im Geiste des Ur-Judentums die Liebe zur Erde, die Liebe zur Scholle, die Liebe zum Lande immer neu verkündet hat. „Selig sind die Friedens-Wirker, sie werden das Land haben.“ Wie wir bei Zarathustra als Grundforderung und Grundverheißung des göttlichen Lebens die so verblüffende Zusammenstellung der Wahrheit, der Reinheit und der Landarbeit finden, so treffen wir bei Jesus und den Propheten des Judentums auf die Verkündigung des kommenden Reiches Gottes, dass diese Schöpfer-Herrschaft als irdische Neuordnung auf diese Erde hereinbrechen wird. Diese Erde wird ein Land und ein Garten einer Gerechtigkeit und einer Freude, einer Wahrheit und einer Reinheit der gegenseitigen Beziehung werden, dass dann erst die Freude auf diesem Planeten beginnen wird. Diese Erde soll für ein neues Reich, für eine neue Ordnung, für eine neue Einheit, für eine neue Freude wahrer Gemeinschaft erobert werden. Das ist die Botschaft, die Jesus bringt. Jesus hat die Gewissheit, dass diese Botschaft heute geglaubt werden kann, dass wir heute nach ihr leben können. Trachtet zuerst und zuletzt nach diesem

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Reich der Neuordnung, die von Gott kommt. Es geht um die Zukunft des kommenden Gottes. Alles andere, worauf der Mammonsgeist die Existenz aufbauen will, darf euch kein Gegenstand der Sorge sein. Eure äußere jetzige Existenz wird zur rechten Zeit hinzugegeben werden. Auf die Neuordnung, auf das Umordnen, auf die Neuschaffung aller Dinge und Verhältnisse kommt es an. Werden neue Menschen aus dem Geist gezeugt, werden sie als das neue Lebens, das von Gott kommt, neu geboren, so werden diese neuen Menschen den ungerechten Mammonsteufel des Mordes, der Lüge und der Unreinheit unter ihre Füße bekommen. Sie dürfen als frei Schreitende dem neuen Leben entgegengehen. Sie sollen und müssen das neue Reich schon jetzt verkünden und ausleben. –

Es handelt sich nicht darum, dass hier die Utopie einer Zukunft aufleuchtet: sondern es geht vielmehr darum, dass diese Sicherheit der Zukunft jetzt schon Gegenwartskraft ist. Dieser Gott lebt heute, der diese Zukunft auf die Erde tragen wird. Dieser Geist ist heute lebendig, der diese Einheit aller Menschen bewirken wird. Diese Einheit ist heute Wirklichkeit. Der Mammonismus wird überwunden, weil diese Kraft in Christus erschienen ist. Wer sein Kommen und den Sieg seines Geistes glaubt, wer Christus glaubt, kann jetzt und hier seine Kraft erfahren, kann jetzt und hier die Glaubensentscheidung treffen, dass er dem ungerechten Mammon entsagt, dass er den begehrlichen Willen sterben lässt, dass er keine Lüge mehr braucht, bei keiner Mörderei mehr mitwirkt und nach keiner Unreinheit mehr verlangt.

Das ist das Geheimnis dieser Gemeinschaft des Zukunfts-Glaubens, dass sie glücklich ist in der Liebe, ohne begehrlich zu sein in der Lust. Das ist das Geheimnis dieser Erwartung der Zukunft, dass sie jetzt schon in der Arbeit, ganz besonders in der schlichtesten Arbeit auf dem Lande, an der Scholle, auf dem Acker, im Garten, aber auch in jeder anderen Arbeit mit der Hand, zugleich auch in jeder Arbeit des Geistes die Liebe betätigt, die in jedem Menschen zu allen Menschen schlummert.

In Wahrheit ist in jedem Menschen dieser Götterfunke lebendig, wie er jauchzend aus unserem deutschen Dichter hervorbricht: „Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt!“ Vom Sternenzelt her, von

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dem Vater aller Liebe wird der Geist der Zukunft geschenkt, dass jene Liebe ewig lebendig ist, die alle umfasst, eine Liebe, die lebendige Tat hingebender und beharrlicher Arbeit ist.

Im Grunde ist es etwas so einfaches, so klares und schlichtes: die Freude am lebendigen. Wer sich an seinen lebendigen Mitwesen freuen kann, wer sich an den Menschen, an ihrem Geist und an ihrem Leben, an ihrer Gemeinschaft der werdenden Gemeinde freuen kann, wer sich freut an der gegenseitigen lebendigen Beziehung des Vertrauens und der inneren Gemeinschaft, - der erlebt es, was Liebe ist. Wer sich nicht freuen kann, kann nicht leben. Liebe wird aus Freude geboren. Nur wo Freude ist, wohnt die Liebe und ihre Gerechtigkeit. Den Geist der Freude brauchen wir, um den finsteren Geist des begehrlichen Abgrundes, den Geist des ungerechten Mammons und seines tötenden Hasses zu überwinden.

Eine solche Freude können wir nur haben, wenn wir den Glauben haben, nur dann, wenn uns von Gott her die Erde und die Menschheit wieder zunächst als etwas, was Zukunft hat. Die Hoffnung muss neu erstehen: Die große Hoffnung letzter Gewissheit.

In einer Versammlung eines kleinen Ortes waren Führer der Sozialdemokraten, der Unabhängigen und der Kommunisten zusammengetreten. Sie riefen die abgekämpfte, ermüdete Arbeiterschaft auf, sie sollten sich von neuem fester und stärker zusammenschließen zur Solidarität ihrer Gewerkschaft. Wir mussten die Frage an diese Führer und an die ganze Versammlung richten: Was nützen alle Anforderungen zur gemeinsamen Tätigkeit, zur heroischen Tapferkeit, die sich aus tödlicher Ermüdung aufraffen soll, wenn nicht zuerst die Vorfrage beantwortet ist: Lebt in der Arbeiterschaft noch der Glaube an die Zukunft der Gerechtigkeit? Jener Glaube, dass die ungerechte Verteilung der Lebensmöglichkeiten überwunden werden und eine gerechte und friedliche Arbeits-Gemeinschaft unter den Menschen erstehen wird? Lebt dieser Glaube oder lebt er nicht? Nur, wenn er lebt, kann es Solidarität geben; lebt er nicht, so gibt es keine. – Dass diese Frage in der Tat das Entscheidende sei, mussten alle bekennen. Freilich sei dieser Glaube der Arbeiterschaft verwundet, er sei geschwächt und gesunken;

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aber getötet könne er nicht werden. Alle waren sich eins, dass er unsterblich ist.

Die verschiedensten politischen Bekenntnisse, die verschiedensten christlichen und nichtchristlichen Konfessionen müsste das Eine vereinen: die innere Gewissheit, dass alles ganz anders werden muss und dass alles ganz anders werden wird. Die innere Gewissheit, dass das Schlechte, das Gemeinschaftszerstörende, das Tötende, das Auseinandersprengende, das Vertrauensvereitelnde, das Zerklüftende abgetan und überwunden werden wird, und dass anstelle dessen die Freude der Liebe, die Gemeinschaft der Gerechtigkeit zum Siege kommen wird.

Dieser Glaube ist nicht eine Sache reiner Geistigkeit, in der wir uns mit ungerechten Verhältnissen zufrieden geben könnten. Dieser Glaube ist die Kraft, die sich auf das Materielle gerade so wie auf das Geistige bezieht. Dieser Glaube ist die Gewissheit, dass der ungerechte tötende und zertrennende Mammon durch den liebenden, lebendigen, alle vereinenden Gott überwunden wird. Dass die Verteilung von Land und Arbeit, die Verteilung aller Lebensgüter der Gerechtigkeit des Gottes entsprechen muss, der über Gerechte und Ungerechte Sonne scheinen und Regen kommen lässt, das ist die Gläubigkeit der Liebe, die sich nach dem einfachen Satz Jesu an alle Menschen hingibt: Was du willst, wie man an dir handeln soll, das tut und schafft den andern allen. Was du für dein Leben brauchst, um gesund zu arbeiten und zu schaffen, für die Menschheit die dir aufgegebene Leistung zu vollbringen, das erkämpfe du allen deinen Mitbrüdern und Mitschwestern. Lasst uns solidarisch sein, lasst uns eins werden, dass wir zu allen Menschen hingehen, und dass wir miteinander allen Menschen die Gemeinschaft in allem erkämpfen. Wir müssen Brüder werden, damit wir Menschen werden. Wir müssen Menschen werden, damit wir Brüder werden.

[Bemerkungen zu EA25/3]

Dieser Vortrag wurde von Eberhard Arnold am 18. Oktober 1924 in der sächsischen Bergarbeiterstadt Lichtenstein als erster einer Serie von fünf Vorträgen gehalten, unter dem angekündigten Thema: „Der Gott Mammon“. Eberhard sprach in der damaligen Zeit mehrmals öffentlich über dasselbe Thema, so in Hannover im Dezember 1923 und in Nordhausen im Januar 1924.

„Der Gott Mammon“ ist im Manuskript Eberhards nicht mehr auffindbar. Der Vortrag wurde jedoch im März 1925 in der evangelischen Kirchenzeitschrift „Der Pilger aus Sachsen“ veröffentlicht. Die Redaktion der Zeitschrift weist darauf hin, dass die Lichtensteiner Vorträge vor einer „größtenteils proletarischen und z.T. kirchenfeindlichen Zuhörerschaft“ gehalten worden seien, und sie „wachsenden Zulauf“ und „größte Aufmerksamkeit“ hervorgerufen hätten.

Zu dem Text dieser Abschrift ist zu bemerken, dass die unveränderte Fassung aus dem „Pilger aus Sachsen“ (EA 25/3, II) die Grundlage für den im Herbst und Winter (September und Dezember) 1938 im „Pflug“ erschienen Abdruck des Textes von „Gott Mammon“ bildete, der gleichzeitig in „The Plough“ in englischer Übersetzung mit dem Titel „The God Mammon“ erschien. Im Jahre 1939 wurde der englische Text auch als Büchlein herausgegeben, und zwar mit dem Titel „God and Anti-God“. Alle drei Neuveröffentlichungen erschienen im „Plough Publishing House, Ashton Keynes, Wiltshire“.

Nun fanden sich jedoch im Bruderhof-Archiv in Woodcrest noch andere, von Eberhard noch selbst handschriftlich überarbeitete Fassungen des „Gott Mammon“.

Die wahrscheinlich ältere der beiden Überarbeitungen, EA25/3, VIII, bildet ein kleines aus Makulatur hergestelltes 21x20 cm großes Heft, in welches der aus dem „Pilger aus Sachsen“ ausgeschnittene Text eingeklebt wurde. Das Heft enthält außer dem „Gott Mammon“ auch den Text von „Der Einzelne und die Weltnot“, des zweiten der Lichtensteiner Vorträge, welcher ebenfalls im „Pilger aus Sachsen“ abgedruckt wurde. Er trägt die Archivnummer EA25/6, VII.

EA25/3, VIII, wurde von Eberhard durch einige handschriftliche Zusätze und Veränderungen überarbeitet, und von ihm selbst mit dem neuen Titel „Gott Mammon und der lebendige Gott“ versehen.

Ein zweites Exemplar des oben genannten Druckes wurde auf 31x23 cm große Bogen Zeitungspapier aufgeklebt und von Eberhard völlig neu überarbeitet. Einige Abschnitte und Sätze des ursprünglichen Textes wurden entweder ganz gestrichen oder erheblich verkürzt. An anderen Stellen wurden kürzere oder längere Zufügungen an den Rand geschrieben oder auf Extrablatt eingefügt. So ergab sich ein in vieler Hinsicht völlig neues Manuskript. Die Zusätze über den dämonischen Charakter der anti-göttlichen Macht lassen darauf schließen, dass Eberhard diese Umarbeitung des „Gott Mammon“ Ende 1925 oder Anfang 1926 fertiggestellt hat. Es trägt die Archivnummer EA25/3, VII.

Bei der neuen Abschrift, EA 25/3,IX-XIII wurde der Versuch gemacht, beide Überarbeitungen Eberhards, EA25/3,VII und VIII, in ein Manuskript zusammenzufassen, das als Grundlage für eine Neuübersetzung des Vortrages für das Buch Eberhard Arnold: „The Sermon on the Mount“ dienen sollte. Der Titel „Gott Mammon und der lebendige Gott“ wurde von EA25/3,VIII übernommen.

Die Abschrift EA25/3,IX mit den Kopien X-XIII berücksichtigt jedoch in erster Linie EA25/3,VII, vor allen Dingen was die Kürzungen und längeren Zusätze anbelangt. Doch wurde EA25/3,VIII, immer dort verwendet, wo der ursprüngliche Text in EA25/3,VII, unverändert geblieben war. Im Original und einer Kopie, EA25/2,IX und X, wurden die Zusätze aus EA25/3,VII, durch einfache, die aus EA25/3,VIII, durch doppelte Unterstreichung kenntlich gemacht. Die Streichungen wurden nicht kenntlich gemacht.

In manchen Fällen ergaben sich zwei Möglichkeiten. Sie wurden im neuen Text übereinander geschrieben, und in Bezug auf ihren Ursprung wie oben erklärt durch Unterstreichungen kenntlich gemacht. (Die * ** am Rande waren eine Hilfe beim Vergleichen, da in der betreffenden Zeile Zusätze aus beiden Manuskripten, VII und VIII, gemacht wurden).

Die Arbeit war nicht nur als Textgrundlage für die neue Übersetzung notwendig, sondern auch wegen des sehr schlechten Zustandes des Manuskriptes EA25/3,VII, das z.T. von Termiten zerfressen ist und an manchen Stellen kaum noch zu entziffern war.