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Published Manuscript
Weltrevolution und Welterloesung (World Revolution and World Redemption)
EA 19/04. Cf EA 19/4a; EA 21/19; EA 21/19a (different lectures on the same theme).
Additional Information | |
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Author | Eberhard Arnold |
Date | March 01, 1919 |
Document Id | 0000000034_28_S |
Weltrevolution und Welterlösung.
[Arnold, Eberhard and Emmy papers – P.M.S.]
EA 19/4
Furche 9. Jahrg. März 1919 Heft 6
Weltrevolution und Welterlösung.
Von Eberhard Arnold.
Ob die Hoffnung der proletarischen Revolution berechtigt ist, dass sie sich in kürzester Frist als Weltrevolution auf alle Kulturländer ausbreiten müsse, kann nur die Zukunft entscheiden. Uns liegt hier lediglich die Aufgabe am Herzen, die religiösen und antireligiösen Empfindungen und Gedanken, die mit der radikalen Revolution zusammenhängen, ins Auge zu fassen und der Erlösung Jesu gegenüberzustellen. Wie die Revolution von 1789 kennt auch die heutige Umwälzung eine Losung der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die man mit Recht auf die ursprüngliche christliche Botschaft zurückführen konnte. Die Gedanken beider Geistesbewegungen scheinen einander in weitem Maße ähnlich zu sein und unterscheiden sich zugleich in dem grundlegenden Charakter der inneren Gesinnung und deshalb auch in dem von beiden gesuchten praktischen Neu-Aufbau der Menschheit.
Bei dem Kampf um die Freiheit will die heutige Revolution nicht mehr als die Erlösung von jedem Zwang aller Art. Dagegen fehlt es überall an der positiven Erfüllung des Freiheitsideals mit dem Inhalt einer neuen menschenwürdigen Berufung und Bestimmung. Es treten wohl hier und da in der revolutionären Bewegung Versuche tieferer und idealistischerer Zielsetzung zutage. Vor allem tritt der Gedanke hervor, dass das Leben sich nicht mehr in dem Ringen um niedere Zwecke des Gelderwerbes und der äußeren Existenz erschöpfen soll. Die Kraft des Menschen soll für höhere Ziele freigemacht werden. Wenn man jedoch nach dem Wesen dieser Zwecke fragt, so wird immer wieder ohne nähere Bestimmung das Menschsein als Freiheit, Weltbürgerlichkeit und Selbstverantwortung des Menschen genannt. Gewiss ist die Erlösung zu wahrem Menschentum das hohe Ziel des Menschen. Aber ohne die volle religiöse und ethische Erfüllung ist das bloße Menschsein ein leeres Ziel, das sich nur allzu schnell in sein Gegenteil verkehren kann.
Man spricht zwar in revolutionären Kreisen viel von dem Kampf um die Gerechtigkeit; aber nur selten erkennt man es, dass allein die ungehemmte Liebe, die sich für alle hingibt, imstande ist, die Gerechtigkeit für sich und für die anderen zu erwirken. Man will Gleichheit und Brüderlichkeit und bekämpft deshalb den Kapitalismus und das bisherige Kastenwesen der höheren Klassen. Und man übersieht es geflissentlich, dass nur ein neuer Geist echter Liebe jenen alten Geist der Selbstsucht überwinden kann, der dem Mammonismus und der Standesklüftung zugrunde liegt. Aber umso weniger dürfen wir uns darüber wundern, dass das Proletariat am eigenen Leibe die Ungerechtigkeit der kapitalistischen Ordnung empfindet. Dass die große Masse zum Vorteil weniger anderer ohne den Genuss wichtigster und edelster Lebensgüter bleiben soll, muss den Benachteiligten als täglicher Beweis verstockter Lieblosigkeit erscheinen. Je tiefer die Ungerechtigkeit der Güterverteilung ins Bewusstsein gedrungen ist, um so verletzender muss die hochmütige Verachtung verwunden, die dem Arbeiter immer wieder aus Unkenntnis seiner Seele entgegengebracht worden ist, um so glühender muss die Sehnsucht nach Erlösung entfacht werden.
Und wenn wir das Proletariat fragen, warum es nicht dem Geist die Abhilfe dieser Zustände zutraut, so wird es uns erklären, dass es nach allen bisherigen Erfahrungen nichts von der Liebe und der Religion der Liebe erwarten kann. Die höheren Stände hätten ja längst Gelegenheit gehabt, ihrer Erkenntnis der christlichen Liebe zu entsprechen und aus ihren reichen Gütern abzugeben, was jedem Menschen zukommt. Aber – wir man uns weiter sagen – auch die geistigen Führer jener Klassen, die bisher im Besitz der Bildung und des Wissens waren, haben keine Mittel und Wege gefunden, um den arbeitenden Schichten zu dem Dasein zu verhelfen, in welchem sie ihr Leben mit idealem Inhalt und geistigen Kräften erfüllen
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konnten. Die sozialistische Revolution steht nicht zum wenigsten aus diesem Gefühl heraus dem Christentum ablehnend oder misstrauisch gegenüber. Jeder sieht es, dass Jesus eine Gerechtigkeit und Liebe gefordert und gelebt hat, die längst gerechtere Verhältnisse hätte herbeiführen müssen, - wenn sein Geist Tat geworden wäre. Der proletarischen Masse erscheint die bisherige Hilfe, die ihr von Seiten des Christentums zuteil geworden ist, als zu geringfügig und almosenhaft. Man hat – aufs Ganze gesehen – den Eindruck gönnerhafter Gesten und wertloser Worte, denen es an den Taten fehlt.
Deshalb ist die religiöse Verkündigung der proletarischen Revolution die Selbsthilfe der Masse und die Selbsterlösung der Menschheit. Man spricht es rückhaltlos aus: Wie man in der Politik keine autokratische Führung dulden kann, so dürfen auch im Geistesleben keine herrschenden Geister die Masse leiten. Auf dem Gebiete der Religion drängt die Diktatur des Proletariats entschlossen und konsequent zum Kampf gegen jeden „Heiland“, der die Menschheit erlösen will.
Wohl fühlt man in den geistigen Kreisen der radikalen Revolution, dass der geschichtliche Materialismus eines Marx unbedingt einer neuen Befruchtung bedarf. Verschiedene geistige Führer glauben, die gesuchte idealistische Belebung des materialistischen Sozialismus in der Psychoanalyse gefunden zu haben, wie sie Sigmund Freud in der medizinischen Welt angeregt hat. Sie fühlen es nicht, dass die kühle Zersetzung aller seelischen Erlebnisse das Leben seines besten und tiefsten Inhalts beraubt. Man erklärt, ohne darin eine Verarmung zu empfinden, dass die sozialistische Zukunft keinen Shakespeare, keinen Beethoven und keinen Christus mehr brauche. Auch die gewaltigste Persönlichkeit dürfe nicht mehr als tyrannischer Heiland über der Welt geduldet werden. Wie die politische autokratische Staatsverfassung müsse auch die autokratische Form der mystischen und religiösen Erlösung endgültig überwunden sein. Man will keine Erlösung von fremder Gnade, wie man kein Untertan eines Monarchen sein will. Man glaubt, dass das Ende des jetzigen Entwicklungsganges auf allen Gebieten die Entthronung des Gottes und des Genies, die Ersetzung der künstlerischen und religiösen Heilandsautorität durch die Selbsterlösung der sozialistisch verbrüderten Menschen sei.
Es ist letzten Endes der kalte Tod jenseits aller Spannungen und Entspannungen, der den schweren Weg der Menschheit zum Abschluss bringen soll. Auf dem Wege der Zerlegung des Empfindungs- und Gedankenlebens hofft man sich von den alten Bedürfnissen befreien zu können. Man will die Bedürfnisse der Religiosität dadurch auflösen, dass das religiöse Empfinden sich in allem menschlich Guten und Schönen befriedigt, das aus dem Menschen selbst herauszuholen ist. Alle mystischen Empfindungen sollen durch Analysierung ihrer Entstehungsursache überwunden werden. Das Freiheitsbewusstsein soll sich so ausgestalten, dass man nirgends eine Vergebung braucht, dass man keine Sklaven oder Untergegebenen unter sich und keine Herren oder Vorgesetzte, wie überhaupt keine höhere Gewalt über sich duldet.
Schon Engels und Marx hatten gehofft, dass in neuen freien Gesellschaftsformen ein neues Geschlecht heranwachsen würde, das ohne Vergewaltigung und ohne Unterordnung sich daran gewöhnen würde, gute Beziehungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens innezuhalten. Es ist jedoch gänzlich unerfindlich, wie die nötigen inneren und äußeren Gleichgewichte einer solchen Gewöhnung zustande kommen sollen, ohne dass eine Erneuerung und Änderung des Menschen stattgefunden hat. Es ist eine leere Hoffnung, die sich in Russland aufs furchtbarste widerlegt hat, dass diejenige Klasse, am gerechtesten und am freiesten von jeder brutalen Gewalt handeln würde, die vorher am meisten unter der Ungerechtigkeit und Vergewaltigung gelitten hatte. Und wenn die radikalen Revolutionäre bereit sind, mit der jetzigen Generation ein allgemeines Sterben und zu Zugrundegehen zu erleben, damit nach diesem
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Kulturuntergang die Welterlösung einer neuen Menschheit hereinbricht, so müssen wir fragen: wo sind die Geisteskräfte, die hier aus dem Tode neues Leben wecken sollen?
Nicht dadurch, dass man Ungerechtigkeit erfahren hat, wird man gerecht. Nicht jeder Tod hat die Kraft der Auferstehung in sich. Nur wer die Liebe kennt, die sich als Barmherzigkeit offenbart, besitzt die Gerechtigkeit des Herzens, die für die anderen zu leben bereit ist. Es ist die Vergebung, die unser Herz von all seiner Härte und Enge befreit, dass wir lieben können. Vergebung ist Befreiung. Denn sie nimmt uns den hemmenden Druck und erlöst uns vom Stolz der Vereinzelung. Das Erlebnis der Gnade, dass der Höchste sich uns gleichgemacht hat, kann uns allein befähigen, dass wir uns mit den Niedrigen eins machen, um für sie leben zu können. Auf welcher Höhenlage oder in welchem Tiefstand die Menschheit sich auch befinden mag, immer braucht sie den überlegenen schöpferischen Geist der Liebe, immer dürstet sie nach dem Erlöser, der sie von aller Knechtung und inneren Entartung befreit. Nur der kann ihr dieser Befreier sein, der den Menschen zu der Entfaltung seiner eigensten und höchsten Berufung führt. Um Mensch im Vollsinne zu werden, muss der Einzelne für seine wahre innere Bestimmung erweckt und zu neuem Leben gebracht werden. Nur jener Tod hat die wahre Auferstehungskraft in sich, der das Schlechte und Falsche sterben ließ, um das Göttliche und Echte zu ungehemmten Leben zu bringen.
Wie der Einzelne, so kann die gesamte Menschheit auf keinem anderen Wege erlöst werden als durch den Christus, der uns die tiefste Ursache unseres Bankrotts aufdeckt und uns von der Sünde und dem Hass erlöst. Durch ihn werden wir aus der Kälte der Selbstsucht zu der Wärme der Liebe und Menschlichkeit geführt, die allein die Atmosphäre des neuen Menschentums schaffen kann. Sein Geist vermag es, uns durch seine erlösende Kraft aus aller Unfreiheit zu unserer eigensten und letzten Lebensaufgabe zu führen. Seine schöpferische Energie bringt in uns die Liebe hervor, die den Menschen die gerechte Verteilung aller Güter in der brüderlichen Gemeinschaft der gegenseitigen Hingabe sichert. Das Urchristentum hat durch die persönlich erlösende Kraft des Christus die wahre Freiheit und Brüderlichkeit erlebt. In dem Kreis der Gemeinde überwand die Einmütigkeit der Liebe alle Unterschiede der Befähigung, des Standes und des Geschlechts. Das persönliche Erlebnis der Gottesliebe befähigte die Gemeinschaft, ein Herz und eine Seele zu sein und alle Güter miteinander zu teilen. Die Wurzel dieser Liebe und ihrer Betätigung war jene Gemeinschaft mit Christus, die den Einzelnen bis in die Tiefe ergriffen hatte.
Der lebendige Glaube, der auf diesem persönlichen Wege des Weltheilands gewiss geworden ist, erwartet durch denselben Christus die Welterlösung, die in seinem Reich Gerechtigkeit, Friede und Freude bewirken wird. Das Reich Gottes schenkt uns das Erleben einer Gemeinschaft der Liebe, die sich auf allen Gebieten, auch des äußeren wirtschaftlichen und politischen Lebens ausgestalten muss. Dass der Weg zu dieser Herrschaft Gottes durch Katastrophen und Zusammenbrüche führen muss, ist unvermeidlich. Diese bittere Tatsache ist in dem immer erneuten Versuch der Menschen begründet, ohne Gott die Selbsterlösung zu gewinnen, die in Wahrheit von einem Kultur-Bankrott in den anderen führt. Hier kann nur das Erlebnis einer Erlösung Hilfe bringen, die aus dem Tode das Leben, aus der Hingabe die volle Freiheit erwachsen lässt. Wenn Gott sich überall Menschen gewinnt, die von innen heraus die Gesinnung der Liebe Wirklichkeit werden lassen, so wird aus allen Volksschichten eine Gemeinde erstehen, die durch die Herrschaft Gottes zu der freien Selbstbestimmung und vollen Auswirkung eines erlösten Lebens gelangt ist. Wie so der Einzelne durch Christus zum Menschen wird, so ersteht ihm die Gewissheit, dass derselbe Heiland und König die Menschheit zur Menschheit machen wird. Das Wesen Gottes und seines Christus bestimmt die Berufung des Menschen und der Menschheit.