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Die Lutherbücher im Jubiläumsjahr der Reformation

EA 17/09

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Author Eberhard Arnold
Date October 01, 1917
Document Id 20126080_33_S
Available Transcriptions German

Die Lutherbücher im Jubiläumsjahr der Reformation

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - P.M.S.]

EA 17/9

Die Furche Okt. 1917

Am Wege und abseits

Die Lutherbücher im Jubiläumsjahr der Reformation

Ein Überblick

Der gewaltige Weltkrieg nimmt durch seine tiefgehenden Erschütterungen unsere Zeit aufs stärkste in Anspruch und droht uns von allem zu trennen, was vor ihm Geltung gehabt hat. Wie schwer erscheint es heute, ein Ereignis zu erneuter Wirkung zu bringen, das 400 Jahre zurückliegend, schon längst für so viele in der Dämmerung des Mittelalters verschwommen zu sein schien, - unwiederbringlich für unser Auge und unser Denken versunken. Hier ist ebenso sehr die Aufgabe gestellt, eine vergangene Zeit in anschaulicher Lebendigkeit unserem heutigen Empfinden nahezubringen, wie die unvergängliche Bedeutung ihres innersten Erlebens für alle Zeiten und gerade auch für die unsere zu erweisen. Für die Weckung des inneren Lebens ist dieser letzte Nachweis die ungleich wichtigere und tiefere Aufgabe, die jedoch niemals ganz von der ersten getrennt werden kann.

Für die starke Wirkung der Anschauung ist es bezeichnend, dass von den fast unübersehbaren Lutherbüchern dieses Jahres das vorzügliche Bilderwerk des Verlages J. J. Weber in Leipzig die allgemeinste Beachtung gefunden hat. (Martin Luther von Paul Schreckenbach und Franz Neubert. Preis: 10,- M.) Es ist sehr dankenswert, dass durch Paul Schreckenbach und Franz Neubert die Veranschaulichung der Zeit Luthers in einer mustergültigen Zusammenstellung der Malerei, der Zeichenkunst, des Kupferstiches, des Holzschnittes und der Medaillenkunst seiner Tage gegeben ist. Luther selbst ist ebenso wie der weiteste Kreis seiner Zeitgenossen, seiner Freunde und Gegner in zahlreichen Wiedergaben in dem Buch zu finden. Sämtliche Orte und Gegenden, in denen er geweilt hat, Briefe und Dokumente über die wichtigsten Ereignisse seiner Zeit finden sich hier in klarer Anordnung bildlich zusammengestellt. Die ausgezeichnete, knapp gehaltene Einführung gibt ebenso wie das Register über die Bedeutung der Bilder den notwendigsten Aufschluss. Es gibt kein anderes Werk, das in ähnlicher Vollständigkeit und Zuverlässigkeit uns die damalige Zeit im Bilde vor Augen führen könnte. Von mancher Seite und in verschiedenster Art ist es versucht worden, wenn auch nirgends das Ziel so weit und umfassend gesteckt ist. Generalsuperintendent Paul Blau in Posen hat im Zusammenwirken mit seiner Frau Anna Blau in einem Kreis von Gedichten über das Leben Luthers und in einer Reihe von Kunstblättern, die die wichtigsten Lutherstätten mit einem kraftvollen Lutherwort verbinden, eine schöne Wirkung erzielt. (Auf Luthers Spuren. Verlag Friedrich Bahn, Schwerin. Preis: großes Format 2,- M., kleines Format 1,- M.) Dementsprechende Ansichtskarten von Anna Blau sind in dem Verlag der Vaterländischen Verlags- und Kunstanstalt erschienen.

Von ähnlichen Unternehmungen, bei denen das Bildwerk ganz im Vordergrunde steht, sind zwei kleine Hefte zu erwähnen, von denen das eine den Versuch gewagt hat, die billigste Wiedergabe des Originales der Lutherstätten, der Lutherwerke und der Bilder seiner Zeitgenossen mit buchkünstlerischem Geschmack zu vereinen (Luther für die deutsche Jugend. Erinnerungs-

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gabe zur Vierhundertjahrsfeier von Oberlehrer O. Leisner (Verlag der Leipziger Kunstdruckerei 1917), während das andere die Kupferstiche von Gustav König mit darunter gesetzten Erklärungen und Liedern auch dem Ärmsten zugänglich machen will. (Bilder und Geschichten aus dem Leben D. Martin Luthers. Reutlingen, Enßlin und Laiblins Verlagsbuchhandlung. Preis -,25 M.)

Die Jubiläumsgabe der allgemeinen evangelisch-lutherischen Konferenz, „Unser Luther“ von Hans Preuß (Verlag Deichert, Leipzig. Preis 80 Pf.), verdankt ebenfalls der Anschaulichkeit der Abbildungen im Verein mit der knappen Klarheit der Darstellungen ihren außerordentlichen Erfolg, dass innerhalb von sechs Monaten 100000 Stück verlegt werden mussten. Hier sind die Abbildungen, die in der Hauptsache nach Originalen von Cranach, Dürer, Holbein usw. hergestellt sind, in ein wohltuendes Gleichgewicht zu dem ausgezeichnet orientierenden Text gebracht. Das Bestreben, das Leben Luthers unserem Volk verständlich und anziehend zu machen, ist hier ganz besonders glücklich gewesen.

In einer ganz anderen, in der ihm eigenen fesselnden Art der Reisebeschreibungen lässt Ludwig Schneller uns ohne Abbildungen einen „Gang durch Luthers Leben anhand der Stätten seines Wirkens“ tun. Dieses Buch „Lutherstätten“ (Leipzig, Wallmann 1917. Preis: 4,- M.) ist für alle, die die Lutherorte lieben, ein einzigartiger Reiseführer, der überall das Bedeutsamste in persönlichster und innerlichster Weise nahezubringen versteht. Aber nicht jeder hat Sinn für einen solchen Mentor. Schneller steht mit seinem Reisebuch allein zwischen den zahlreichen illustrierten Lutherbiographien, die in meist sehr volkstümlicher Art das Leben und Werk des Reformators miterleben lassen wollen. Eine größere Anzahl dieser Arbeiten befindet sich im Bücher-Eingang der vorliegenden Nummer der „Furche“. Es sind gute Namen unter ihren Verfassern, die ihre beste Kraft hergegeben haben, um mit neuer Liebe unseren Luther dem Volksempfinden zugänglich zu machen. Zusammenfassende Bilder seines Lebens wechseln mit Bildern aus Familie und Häuslichkeit. Ausschnitte aus der Wirkung der Reformation auf besondere Landesteile stehen neben der Wiedergabe ihres Gesamtwerkes, soweit diese auf wenigen Seiten möglich ist. Die Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg, hat in zwei ansehnlichen Bändchen eine solche für jeden verständliche Zusammenfassung Luthers und seiner Reformation herausgebracht. (Der deutsche Luther. Lebens- und Seelenbild aus der deutschen Vergangenheit für die deutsche Gegenwart und Zukunft von D. Hermann Petrich. Preis: kart. 1,80, geb. 2,50 M.) – Die deutsche Reformation. Von den Quellen unserer Kraft von D. Hermann Petrich. Preis: kart. 1,80, geb. 2,50 M.) Der Verfasser hat es verstanden, das geschichtlich Wichtige gegen das Unwesentliche hervorzuheben. Seine Schilderungen werden aufs wirksamste durch die zahlreichen originellen, lebendigen Vollbilder des durch sein Nicodemus-Bild weithin bekannten Malers S. v. Sallwürk unterstützt. Eine noch stärkere Aufmerksamkeit verdient Georg Buchwalds, des bekannten Luther-Biographen, „Geschichte der deutschen Reformation“ (Halle a.S., Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses, 1917), in welcher in dankbarer Anlehnung an das ausgezeichnete Werk Theodor Briegers „Die Reformation“ (Ullstein & Co. Berlin 1914), das Werden Luther und der Reformation bis zum Religionsfrieden von Augsburg gezeichnet ist. Von besonderem Interesse ist das merkwürdige Predigtbuch, das uns Albert Kalthoff hinterlassen hat. In sogenannten Predigten der kirchlichen Macht, Theologie und Frömmigkeit der damaligen Zeit, aus Wissenschaft und Mystik. Aus Raphael, Erasmus, Reuchlin, Hutten und Sickingen, aus Luther, Zwingli und den Jesuiten, aus der Kunst und der Musik des 16. Jahrhunderts sucht der bekannte Bremer Kanzelredner zu beweisen, von welchen gewaltigen Strömungen seiner Tage Luther mit seinen Kämpfen getragen und vorwärtsgetrieben worden ist. Es liegt hier das dankenswerte Bestreben vor, die gesamte Zeit, in die Luther eingetaucht war, in plastischen Bildern

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lebendig zu machen, um uns seine sonst oft allzu wunderbare Persönlichkeit greifbarer zu machen, wenn der Verfasser auch nach seinem eigenen Bekenntnis (Seite 214) dem tiefsten Grundzug in Luthers Wesen, seiner Frömmigkeit, fremd bleiben musste.

Von besonderer Bedeutung ist Paul Kalkoffs streng historisch-wissenschaftlich unterbautes Bild der Heldenzeit Luthers, das er in seinem Buch „Entscheidungsjahre der Reformation (München und Leipzig bei Georg Müller, 1917. Preis: 4,- M.) gezeichnet hat. Die vertiefte Betonung wichtiger, sonst zurücktretender, besonders auch katholischer und vatikanischer Quellen, sowie die Bedeutung Friedrichs des Weisen ergibt aus dieser „einfachen Erzählung“ im Sinne Ranckes manche wertvollen Folgerungen, die schon in den Forschungen zu Luthers römischen Prozess (Rom 1905) angedeutet waren. Der Verlag hat diese gründliche, historische Arbeit durch schöne Wiedergaben wertvoller Kupferstiche und Gemälde aus Luthers Zeit geziert.

Ein besonderes Kennzeichen für die deutsche Gründlichkeit in der Versorgung der Schulen ist die Festschrift der Stadt Berlin von Adolf von Harnack,die den Schulen gestiftet wurde. (Martin Luther und die Grundlegung der Reformation. Festschrift der Stadt Berlin zum 31. Oktober 1917. Verfasst von Adolf von Harnack, Berlin. Weidmannsche Buchhandlung, 1917. Preis: 1,- M.) Auf 64 Seiten hat Harnack hier in der ihm eigenen klaren Hervorhebung des Wesentlichen ein Lebensbild Luthers entworfen, wie es in dieser kurzen Fassung sonst nirgends besteht. Wenn wir auch nicht mit Harnack Luthers Ringen als ein Stellvertretendes und Befreiendes anerkennen können, wenn man auch den Einfluss der Mystik auf die erste Entwicklung Luthers stärker werten sollte, so ist doch das Ganze eins der vorzüglichsten Bücher, welches uns dieses Jahr beschert hat. Der süddeutsche Schulrat Dr. Hermann Mosapp hat ebenfalls für Deutschlands Volk und Jugend eine Geschichte Luthers und der Reformation geschrieben, die mit ihren schönen Bildwiedergaben und ihrer anschaulichen Darstellung manch einem ein gutes erstes Bild von Luther geben kann. In diesem Zusammenhang ist auch Dr. Albrecht Thomas Büchlein zu erwähnen. (Doktor Martin Luthers Leben. Fürs deutsche Haus. Stuttgart 1917. Verlag für Volkskunst, Richard Keutel), welches 1883 zum ersten Mal erschien und eine sehr dankbare Aufnahme fand. Immerhin fehlen hier die Ergebnisse der neueren Lutherforschung, die ein besonders klares Licht auf die erste Zeit seiner Kämpfe geworfen hat. Otto Scheel hat die zweite Auflage des ersten Bandes seines Werkes „Martin Luther“ (Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation. Tübingen, Verlag J. C. Mohr (Paul Siebeck), 1917. Preis: 9,80 M.) herausgegeben. Leider ist der zweite Band, der als unter der Presse befindlich angezeigt wird, bis zu dieser Stunde noch nicht erschienen. Die gründlich-sachliche Schilderung, mit der Auseinandersetzung sämtlicher Resultate der letzten Forschungsarbeit, die Scheels ausgezeichnetes Buch auszeichnet, kommt auch in seiner kleinen „Studie zur Reformationsgeschichte“ über „Luthers Primiz“ zum Ausdruck, die sich in dem Gustav Kawerau gewidmeten Bändchen „Studien zur Reformationsgeschichte und zur praktischen Theologie“ befindet. In enger Anlehnung an die kritische Darstellung Otto Scheels, an G. Boehmer, W. Möllenberg und andere hat Leopold Cordier die dankenswerte Aufgabe unternommen, auch für die Öffentlichkeit eine kritische Zerstörung der Lutherlegenden und eine Klarstellung seiner frühen Entwicklung durchzuführen. Die zahlreichen Irrtümer und schiefen Auffassungen, die auch in der hier zusammengestellten Literatur des Jubiläumsjahres nur zum Teil beseitigt sind, sucht Leopold Cordier durch das schärfere Lutherbild der wirklichen Geschichte zu verdrängen. Im übrigen ist nur ein einziges Werk, welches die Forschung über die Universitäts- und Klosterjahre Luthers weiter führt, in diesem Jahre erschienen. (Luthers Frühzeit. Seine Universitäts- und Klosterjahre, die Grundlage seiner geistigen Entwicklung. Von Th. Neubauer, Dr. Phil. Erfurt. Verlag der Keyserschen Buchhandlung, Großh. Sächs.

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Hofbuchhandlung. Preis. 3,60 M.) Neubauer legt besonderes Gewicht auf das kulturgeschichtliche Bild und hofft mit Recht, durch eine klare Zeichnung dieses Milieus uns die Kämpfe und Erlebnisse Luthers näherzubringen. Wenn bei ihm schon die Auseinandersetzung mit den katholischen Forschern Denifle(?) und Grisar manche Linie bestimmt hat, so ist das noch viel mehr bei Wilhelm Walther der Fall; aber freilich nur in dem Sinn des scharfen Gegensatzes. Eine Apologie Luthers gegen die katholischen Angriffe, (Verlag A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung Werner Scholl, Leipzig 1917. Preis: 3,80 M., geb. 5,- M.) „Luthers Charakter“ wird hier nach den Ergebnissen des „Handbuches der Apologetik Luthers und der Reformation“ „Für Luther wider Rom“ gezeichnet. (Verlag von Max Niemeyer, Halle a.S. 1906. Preis: 10,- M.) Man hat zwar vielfach den Eindruck, dass die Schwächen, Ecken und Derbheiten in dem Bilde Luthers hier allzu sehr gemildert worden sind, es ist aber dennoch sehr zu begrüßen, dass wir hier den gründlichen Versuch einer Charakterstudie vor uns haben, die besonders die Offenheit und das Selbstbewusstsein Luthers in Erscheinung treten lassen. Nach dieser Seite hin ist außer einer kleinen Broschüre von Gerhard Tolzien (Dr. Martin Luther. Ein Charakterbild zur Charakterbildung. 7. Deutsche Zeit- und Kriegsbetrachtung zur 400jährigen Reformationsfeier. Hofbuchhandlung Friedrich Bahn, Schwerin i. Mecklbg. 1917) in diesem Jahre nichts erscheinen, was zu erwähnen wäre.

Es ist eine schmerzliche Tatsache, dass bei der Fülle der angeführten und noch zu erwähnenden Bücher nur ein ganz kleiner Bruchteil auf die eigentlichste und tiefste Frage der Reformation Gewicht legt, auf die Entstehung und Lösung der religiösen Spannung der religiösen Spannung des werdenden Luther, auf die klare Zeichnung seines religiösen Erlebnisses, auf die Entstehung seiner Glaubensgewissheit und Heilsgewissheit, auf das Ergreifen des Evangeliums in Christus, wie er es bis Ende als das Hauptstück und Zentrum seines Lebens bezeugt hat. Hier ist es vor allem eine kleine Schrift Dr. Mandels „Das Gotteserlebnis der Reformation“ (Verlag von C. Bertelsmann, Gütersloh, 1916), in welcher Buße und Heilserfahrung Luthers im ausgesprochenen Gegensatz gegen die umgekehrte Ordnung des mittelalterlichen, katholischen Sakramentes der Buße dargestellt wird. Der starke Einfluss der Mystik und ihres Weges des Kreuzes kommt hier ebenso sehr zur Geltung wie die selbständige Stellung Luthers zum Kreuz Christi, die er am Römerbrief gelernt hat: „Diese Theologie des Kreuzes“, „Ich erkennen nirgends etwas in der Schrift, wenn nicht Christus den Gekreuzigten; darum verstehe ich überall dasselbe.“ Außer Mandel ist es Theodor Brieger, der über die Kernpunkte des reformatorischen Christentums Luthers noch einmal zu uns redet. Außer einem Kapitel „Der Glaube Luthers und die Kirche“ hat er noch selbst dieses Buch bis auf den letzten Punkt vollenden können (Martin Luther und wir. Verlag Friedrich Andreas Perthes, Gotha 1916). Es kommt Brieger darauf an, den Hauptunkt des inneren religiösen Lebens Luthers zu erfassen. Er sieht ihn in der Bekämpfung des Intellektualismus im religiösen Leben. Die Aufrichtigkeit des Sündenbefundes Luthers führt ihn durch den Hass gegen Gott zu der Gerechtigkeit des Glaubens, die Brieger besonders in der Vertrauensstellung zu Gott erblickt. Der Glaube Luthers ist ihm eine persönliche freie Gesinnung, die den ganzen Menschen durchdringt, die niemals gestattet, dass eine Erkenntnis oder ein Werk als Stück des Glaubens, als Teil des Glaubens gewertet werden dürfe, wie notwendig sie auch mit ihm verbunden sind. Mit Recht betont er zunächst, dass für Luther das Wort Gottes das von menschlichen Zeugen und aus der Schrift verkündete Evangelium ist, wie es von Gott im Herzen versichert wird. Er verweist auf den Galaterbrief von 1535, dass das Fürwahr halten gar kein Glaube sein kann, weil er das Herz verändert und erneuert. Hieraus ergibt sich eine Selbständigkeit des Glaubens, die von aller menschlichen Autorität in der Stellung zu Gott losmacht: „Du musst selber beschließen, es gilt dir deinen Hals, es gilt dir dein Leben. Darum muss Gott dir’s

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ins Herz sagen: das ist Gottes Wort.“ Von hier aus beleuchtet Brieger die Stellung Gottes zum Dogma der Kirche und zum Kanon der Heiligen Schrift und stellt den Standpunkt als Luthers festeste Überzeugung hin, dass der Glaube auch über den Inhalt der Schrift zu urteilen hat, und meint diesen Standpunkt als den prinzipiellen Luthers betrachten zu müssen. Schließlich wendet sich das Buch Briegers gegen jeden Biblizismus, der die Heilige Schrift für noch zum unveränderlichen Inhalt des Glaubens macht. Die entschiedenen Bekenntnisse Luthers zur ganzen Bibel als zum Worte Gottes sieht er als vereinzelte Aussagen an, in denen in der Hitze des Gefechtes die Grundlage des lutherischen Glaubensbegriffes vergessen wäre. Uns aber scheint es notwendig, hier eine Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Aussagen Luthers zu suchen, die ein so wuchtiges Bekenntnis wie das aus dem Jahre 1545 nicht verleugnen lässt. „Wer so kühn ist, dass er darf Gott lassen strafen in seinem Wort – der darf auch Gott in allen seinem Wort leugnen und fassen(?) – der Heilige Geist lässt sich nicht trennen oder teilen, dass er ein Stück sollte wahrhaftig und das andere falsch lehren oder glauben lassen.“ August Hardeland stimmt in seiner gründlichen Arbeit über „Das erste Gebot in den Katechismen Luthers“ (Leipzig 1916. Verlag von Dörffling und Franke. Preis: 2,50 M.) mit Theodor Brieger in dem Hauptpunkt überein, dass der Glaube des Vertrauens der rechtfertigende Glaube ist, der in der doppelten gleich starken Empfindung der Drohung und der Verheißung die Erfüllung des ersten Gebotes ermöglicht. Über diesen rechtfertigenden Glauben bringt der Furche-Verlag drei Schriften heraus, die in gleicher Weise bestrebt sind, den Kernpunkt des Erlebnisses Luthers in den Mittelpunkt des modernen Empfindens zu rücken, dass wir die Sünde Christi und dass Christus unsere Gerechtigkeit und Herrlichkeit geworden ist. Liz. Erich Stange hat in seinem Büchlein „Das Erlebnis der Reformation“ (Furche-Verlag Berlin 1917. Preis: -,80 M.) diese Stellung dem Verantwortungsbewusstsein der heutigen Zeit gegenüber durchgeführt. In seinem in Eisenach gehaltenen Vortrag „Wege zu Luther“, der im Furche-Verlag vorbereitet wird, will er die moderne Forderung der Würde des Menschen in der Herrlichkeit befriedigt sehen, die Christus durch die Rechtfertigung in seiner Person mitteilt. Das Büchlein von Professor Gerhard Hilbert „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ ist ebenfalls eine Wiedergabe seines Vortrags auf der Eisenacher allgemeinen christlichen Studentenkonferenz und stellt mit klarer Entschiedenheit fest, dass es nur auf dem Wege über die Sünde und Gnade in lebendigen Ergreifen Christi ein Finden und Erleben Gottes gibt. Der zentralen Gründlichkeit dieser Arbeiten gegenüber erscheint eine Schrift wie die Dietrich Vorwerks „Luthers Gebetsleben“ (Verlag Friedrich Bahn, Schwerin i. Mecklbg. Preis: -,80 M.) für einen so großen und wichtigen Gegenstand zu sehr zersplittert, zu wenig auf die Hauptsache konzentriert.

In seiner Lehre Luthers (Die Lehre Luthers. A. Deicherische Verlagsanstalt Werner Scholl, 1917. Preis: 10,50 M. brosch.), dem vierten Teil seines Lehrbuchs der Dogmengeschichte, sucht Reinhold Seeberg mit aller Energie durch die Wandlung der lutherischen Lehrbegriffe hindurch keine Einheitlichkeit seiner Glaubensstellung nachzuweisen, die sicherlich die allgemeinste Aufmerksamkeit finden wird. In einem gründlichen Unterbau sind die Anfänge Luthers in ihrer Stellung zu den verschiedensten Strömungen der damaligen Zeit festgelegt, bevor zu den Elementen des eigentlichen Heilsglaubens als der unmittelbaren Erfahrung übergegangen wird.

Im allgemeinen kann das überall unternommene Unterfangen, das Zeugnis und die Wirkung Luthers auf die Forderung unserer Zeit zur Anwendung zu bringen, in den Lutherschriften dieses Jahres nicht als glücklich bezeichnet werden. Wenn in dem bei Paul Eger in Leipzig erschienen Buch „Die Segnungen der Reformation für das deutsche Volk“ (Preis: 2,80 u. geb. 3,50 M.) der Versuch gemacht ist, Luthers Bedeutung für unsere Religion und sittliches

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Leben, für deutsche Art und deutsches Wesen, für den Gottesdienst, für das deutsche Haus und für die Schule nachzuweisen, so liegen hier zwar anerkennenswerte Arbeiten von Weichelt, Thiele, Flade, Zweynert und Buchwald vor, die aber doch großenteils zu wissenschaftlich und doktrinär gefasst sind, als dass sie auch für die Nicht-Theologen ein bedeutendes Interesse bieten. In entschiedener Geltendmachung der innerlichst aufgefassten Evangelisations-, Heiligungs- und Gemeinschaftsbewegung gibt Pastor l. Thimme zwölf neue Thesen heraus (Reichsverlag, Marburg, Preis 1,50 M.), die auf persönliche Erfahrung des reformatorischen Heils und auf wirkliche Durchführung des allgemeinen Priestertums dringen. Die übrigen Bücher, die die Anwendung der Arbeit Luthers auf unser Kirchen- und Schulwesen zu vollziehen suchen, bleiben ihrer Bedeutung nach weit hinter diesen Büchern zurück und sind in dem Bücher-Eingang der vorliegenden Nummer der „Furche“ aufzufinden.

Am wenigsten erfreulich sind die Versuche in Schauspielen und liturgischen Feiern, Luther dem heutigen Empfinden nahezubringen; erscheint hier einmal eine gewisse Vergötterung Luthers als Gefahr, die er selbst wie jeder vom Evangelium durchdrungene Christ aufs entschiedenste abweisen würde, so ist auf der anderen Seite das Lutherbild vielfach allzu flach und glatt gezeichnet. (Luther. Ein deutsches Schauspiel in fünf Akten von David Koch. Verlag für Volkskunst Richard Keutel, Stuttgart 1917. Preis: 3,- M.) – Luther als deutscher Volksmann. Ein Volksabend von Dr. Hermann Mosapp. 2. Verbesserte Auflage. Verlag Perthes, Gotha. Preis: -,80 M.) – Die Lutherfeier in Schule und Verein, von Albrecht Thoma, Herausgegeben von M. Guldner. Verlag für Volkskunst. R. Keutel, Stuttgart – Vesper oder liturgische Andacht am Reformations- und Lutherfest, von Albrecht Thoma. Herausgegeben von M. Guldner. Verlag für Volkskunst R. Keutel, Stuttgart.)

Dagegen ist es aufs freudigste zu begrüßen, dass in den verschiedenen Ausgaben und Zusammenstellungen in diesem Jahr Luther selbst zu Worte gekommen ist. Seine Lieder, die stets die mächtigste, volkstümlichste Wirkung ausgeübt haben, von denen jedes seine charakteristische Wucht und Gewalt besitzt, sind uns durch Wilhelm Nelle und Karl Balthasar in ihrer einzelnen Bedeutung von neuem ans Herz gelegt worden. („Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ oder Das Heldentum in Luthers Liedern. Gustav Schloeßmanns Verlagsbuchhandlung (G. Fick), Leipzig-Hamburg 1917. Preis: 25 Pf. – Luther, der Sänger des deutschen Volkes. Verlag C. Bertelsmann, Gütersloh 1917. Preis: -,90 M.) Die buchkünstlerisch ausgezeichnete Ausgabe „Martin Luther. Geistliche Lieder, die Dr. Karl von Hollander bei Gustav Kiepenheuer, Weimar 1917 (Preis: 20,- M.) veranstaltet hat, enthält, von allen Umdichtungen und Abschwächungen späterer Zeiten befreit, in bester Originalfassung 39 Lieder mit einer kurzen Vorrede Martin Luthers. Von der Heydt und Johannes Zauleck und Bruno Rötig wetteifern darin in neuen handlichen Ausgaben, in zuverlässiger, gut singbarer Weise die alten Lutherlieder zugänglich zu machen. (Lutherlieder. Schriftenvertriebsanstalt, Berlin – Aus dem evangelischen Liederfrühling. C. Bertelsmann, Gütersloh 1917. Preis: 1,- M. – Lutherlieder im Felde. Furche-Verlag, Berlin 1917. Preis: -,70 M.) Die Ausgaben der Schriftenvertriebsanstalt und die des Furche-Verlages eignen sich ganz besonders für das Feld und für die Tasche. Unter den Zusammenstellungen bedeutungsvoller Lutherworte und hervorragender Abschnitte aus seinen Schriften ragt die von Martin Rade hervor (Luther in Worten aus seinen Werken. Hutten-Verlag, Berlin 1917. Preis: 4,- M.), aber auch die von Heinrich Stuhrmann (Und Luther sprach. Verlagsanstalt des deutschen evangelischen Volksbundes, Godesberg a. Rh. 1917. Preis: 2,50 M.) und Emanuel Hirsch (Luther-Brevier. Vanderhoeck und Ruprecht 1917. Preis 1,- M.) sind gut durchgearbeitet. Von besonderem Interesse ist die Arbeit von Walther Köhler, die in den Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte eine herzerfreuende Aneinanderreihung von Abschnitten enthält, aus denen wir aufs gründlichste er-

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fahren dürfen „Wie Luther den Deutschen das Leben Jesu erzählt hat“. (Im Kommissionsverlag von Rudolf Haupt. Leipzig 1917. Preis: 3,- M.). In dem Bestreben, die Zeiten Luthers selbst reden zu lassen, ist von Karl Kaulfuß-Diesch in R. Voigtländers Verlag in Leipzig 1917 (Preis: 6,50 M.) „Das Buch der Reformation, geschrieben von Mitlebenden“, herausgegeben worden. In dieser hervorragenden Zusammenstellung ist es jedem ermöglicht, in interessanten, überaus fesselnden Abschnitten, sich über die Reformationssehnsucht, über die Zustände in den Städten und auf dem Lande und über den Gang der reformatorischen Bewegung nach den Quellen der damaligen Zeit zu orientieren. Eine ähnliche billigere, wenn auch nicht ebenso bedeutende Arbeit hat Dr. Franz Etzin(?) unternommen. (Martin Luther, sein Leben und sein Werk. Verlag Friedrich Perthes, Gotha 1917.) Es kann nicht dankbar genug begrüßt werden, dass von den verschiedensten Seiten aus die Worte Luthers selbst in diesem Jubiläumsjahr verbreitet werden. In seinen eigenen Worten tritt er vor uns als der Kämpfer für das Evangelium, als der Bekenner des Wortes Gottes, als der offene und nicht selten derbe Mensch, als der Lehrer und Seelsorger, als der Christ, der sein ganzes Leben auf Christus allein aufgebaut hat. Von den verschiedenartigen Ausgaben seien vier hervorgehoben, von denen zwei die Lutherworte als tägliche Abschnitte für die Andacht zusammenfassen. (Luther-Schatzkästlein. Worte Dr. Martin Luthers zu täglichem Gebrauch dargereicht von G. Bayer. Calw und Stuttgart. Verlag der Vereinsbuchhandlung. – Dr. Martin Luther. Biblisches Spruch- und Schatzkästlein. Neu bearbeitet von Karl Fliedner. Verlag Dörffling und Franke, Leipzig. Preis: 4,- M.) – Ein Buch, das neben allerlei Anekdoten und Berichten anregende Lutherworte zur Geltung bringt, bringt uns Luther von der menschlichen Seite nahe. (Luther-Anekdoten. Von Dr. Adolf Saager. Verlag von Robert Lutz, Stuttgart. Preis: geb. 2,50 M.) Das Beste sind die „Worte Luthers“. Herausgegeben von Dr. Otto Krack (Bruns Verlag, Minden). Hier tritt uns der wirkliche Luther entgegen, wie er, im Evangelium gewurzelt, nicht sich selbst, sondern Christus und sein Wort suchte und bekennt: „In allen Dingen will ich jedermann gerne weichen, das Wort Gottes will ich und kann ich auch nicht verlassen noch verleugnen.“ (Seite 53. Ein Sendschreiben an Papst Leo X.)

Eberhard Arnold